: Angeklagter weist Schuld von sich
Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben hielt der Angeklagte das Plädoyer der Verteidigung selbst. Mitte November könnte das Urteil fallen
Angeklagter Alexander M.
Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben ließ es sich der Angeklagte Alexander M. nicht nehmen, beim Schlussvortrag der Verteidigung am Donnerstag vor dem Landgericht Frankfurt in eigener Sache zu plädieren. Ausführlich legte er dar, warum seiner Meinung nach in dem Verfahren kein Tatnachweis erbracht worden sei. „Es müsste mindestens noch ein Mittäter da sein. Ich selbst bestreite jede Tatbeteiligung“, sagte der 53-jährige Berliner und forderte Freispruch sowie Haftverschonung.
Er habe die Drohschreiben gegen Rechtsanwältinnen, Politikerinnen und andere Personen des öffentlichen Lebens nicht verfasst, so M. Er sei nur Mitglied einer Chatgruppe im Darknet gewesen, aus der er später herausgeschmissen worden sei. „Ich wurde mächtig in die Pfanne gehauen in Zusammenarbeit mit der Polizei“, sagte der Angeklagte. Die Schreiben, in denen etwa der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız mit der „Schlachtung“ ihrer Tochter gedroht worden sei, seien nie ernsthaft gewesen: „Das Projekt NSU 2.0 war nur Herumtrollerei auf hohem Niveau.“
Völlig anders die Sicht der Nebenklägerinnen: Die Anwältin der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) sah, anders als die Anklagebehörde, den Tatbestand einer besonders schweren Nötigung erfüllt. Die Drohschreiben gegen ihre Mandantin als Mitglied des Parlaments seien auch ein Angriff gegen die Demokratie, sagte sie am Donnerstag, ohne ein konkretes Strafmaß zu fordern. Ziel der Schreiben sei es gewesen, die darin von Gewalt bedrohten Menschen zu zwingen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, ihren Beruf aufzugeben oder gar das Land zu verlassen.
Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten gegen Alexander M. gefordert: Unter anderem wegen Beleidigung und versuchter Nötigung, Störung des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung.
M. ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft der Verfasser von insgesamt 81 Drohschreiben, die per E-Mail, Fax oder SMS an Rechtsanwälte, Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens gerichtet und mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Die Staatsanwaltschaft hält M. auch für Bombendrohungen gegen Gerichte verantwortlich.
Die Verteidiger von M. warfen der Staatsanwaltschaft vor, in ihrem Plädoyer nicht auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor Gericht, sondern nur auf das Ermittlungsverfahren eingegangen zu sein. Ihr gehe es vor allem um die „Ablenkung von Missständen in kleinen Teilen der Frankfurter Polizei“. Zudem habe die Staatsanwaltschaft eine „unverhältnismäßig hohe Strafmaßforderung“ gestellt. Bei den vorgeworfenen Taten handele es sich überwiegend um Vergehen, nicht um Verbrechen.
Auch die Nebenklägerinnen – neben Renner die seit August 2018 mit einer Vielzahl von Schreiben bedrohten Frankfurter Anwältin Başay-Yıldız – hatten weitere Aufklärung gefordert. Zumindest für das erste Schreiben bestünden Zweifel an einer Täterschaft von M., so die Nebenklagevertreterin am Montag. Sie kritisierte die Staatsanwaltschaft dafür, von einer Einzeltäterschaft auszugehen und einen Alternativtäter nicht in Betracht zu ziehen.
Auch die Verteidigung wies auf einen Polizisten des Frankfurter Reviers hin, dessen Rolle im Verfahren nicht hinreichend aufgeklärt worden sei. Gegen den Mann wird im Zusammenhang mit einer Chatgruppe mit rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalten ermittelt, im Prozess gegen M. machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Auf die Chatgruppe stießen die Ermittler, als sie die Abfrage der Daten von Başay-Yıldız und ihrer Familie von einem Polizeicomputer untersuchten.
Am nächsten Verhandlungstag am 17. November soll M. die Möglichkeit für das traditionelle „letzte Wort“ haben, anschließend könnte das Urteil folgen. (dpa)
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