Alles hört auf Palmers Kommando

Boris Palmer sichert sich die absolute Mehrheit in Tübingen. Am liebsten will er wieder Grüner werden

Kann Palmers Sieg Brücken bauen oder bleibt er ganz der Alte?

Benno Stieber, Karlsruhe

Nach seinem unerhörten Wahlsieg sieht man am Sonntagabend einen entspannten Boris Palmer, der seelig lächelnd zu Blasmusik das umstehende Publikum dirigiert. Ganz Tübingen hört auf sein Kommando, soll das wohl bedeuten. Denn das gefällt Boris Palmer. Und seinen Grünen hat er ordentlich den Marsch geblasen.

Nach dieser Wahl wollten sie ihn eigentlich endgültig aufs Abstellgleis stellen. Erst das Parteiausschlussverfahren, dann die Urwahl, zu der ihn die Tübinger Parteifreunde als Amtsinhaber zwingen wollten. Palmer trat bei der Wahl als unabhängiger Kandidat an. Gegen die Grünen und ihre Kandidatin Ulrike Baumgärtner holte er 52,4 Prozent im ersten Wahlgang. Baumgärtner erreichte dagegen nur 22 Prozent. Die SPD-Kandidatin Sofie Geisel blieb bei 21,4 Prozent.

Beide gratulieren dem Amtsinhaber schon vor dem Ende der Auszählung. Das Projekt der beiden Frauen, Palmer in den zweiten Wahlgang zu zwingen und ihn dann vereint, mit der aussichtsreicheren Kandidatin, aus dem Amt zu fegen, scheiterte. „Tübingen ist eng verwurzelt mit Boris Palmer, da kommen zwei Frauen nicht gegen an“, sagte Sofie Geisel am Wahlabend am Sonntag.

Aber auch der ausgelassene Wahlsieger Palmer muss jetzt erleichtert sein. Er hatte angekündigt, was auf der Hand lag: Verliert er, ist es vorbei mit der Politik. Dann würde er sich mit seiner Bürgermeisterpension künftig um seine Kinder kümmern.

Jetzt hat er gewonnen und steht im Zenit seiner politischen Karriere. Palmer der Einser-Abiturient, studierte Mathematiklehrer mit immerhin einem Staatsexamen. Ehemaliger Landtagsabgeordneter und enger Weggefährte von Winfried Kretschmann. Eine Karriere im Turbo, bei der er auf wenige traf, denen er zugestehen würde, ihm das Wasser reichen zu können.

Einmal scheiterte er als grüner OB-Kandidat in Stuttgart, gewann dann aber 2007 im ersten Wahlgang in Tübingen. Bundesweit wird er schließlich bekannt, als er bei den Schlichtungsgesprächen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 mit detaillierter Faktenkenntnis die Vertreter der Bahn ins Schwitzen bringt. Palmer präsentiert sich hart in der Argumentation, schnell denkend und ungehobelt – irgendwie ist er eben ein Nerd. Doch später dreht sich das Blatt. Mit seinen Äußerungen über Flüchtlinge und Coronapatienten auf Facebook und im Fernsehen sorgt er für hitzige Diskussionen. Er gilt als populistisch, für die Grünen weit über deren Schmerzgrenze hinaus.

Palmer sagt, dass das auch genetisch bedingt sein könnte. Er ist der Sohn des „Remstalrebellen“ Helmut Palmer, eines schwäbischen Originals, eigentlich Obstbauer, der in der Nachkriegszeit mit derber Polemik Willkür und Naziseilschaften in Staat und Bürokratie angeprangert hat und dabei auch öfter übers Ziel hinausschoss. Helmut Palmer ist bei über 250 Bürgermeisterwahlen angetreten, ohne je gewählt zu werden. Boris Palmer hat längst mehr erreicht als sein Vater jemals. Ob er, der ja gerade erst 50 Jahre alt ist, auch außerhalb Tübingens eine politische Zukunft haben könnte, hängt davon ab, wie klug er jetzt mit diesem Erfolg umgeht.

Palmer müsse seine Stadt nach dem polarisierenden Wahlkampf wieder zusammenführen, findet die grüne Gegenkandidatin Baumgärtner. Er, Palmer, sagt am Wahlabend, es sei ihm bewusst, dass er von über 40 Prozent nicht gewählt worden sei. Er betont die Einigkeit der Tübinger in vielen Fragen, nicht zuletzt dem Klimaschutz. Dann sucht er den Schulterschluss zu den Grünen und rechnet sein Ergebnis und das von Ulrike Baumgärtner zusammen: „Die grüne Volkspartei hat in Tübingen fast 75 Prozent der Stimmen erhalten.“ Er will sich wieder mehr für die Grünen einsetzen. Für manche mag das eine Drohung sein.

Immerhin steht Palmer noch am Wahlabend mit Winfried Kretschmann und Robert Habeck in Kontakt. Auch ein direkter innerparteilicher Gegner, der grüne Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn, sagt in Berlin: „Wir müssen das Freund-Feind-Denken überwinden und noch in diesem Jahr mit Boris Gespräche führen.“

Kann Palmers Sieg Brücken bauen oder bleibt er ganz der Alte? Als er am Abend vom SWR gefragt wird, ob er jetzt seinen Stil ändern werde, blitzte der bekannte Palmer auf. Er wisse nicht, warum ein dreimal mit absoluter Mehrheit gewählter Oberbürgermeister seinen Stil ändern sollte. „Vielleicht sollten Sie lieber den Stil ihrer Fragen ändern.“