: Xi befördert seine Ja-Sager
Chinas neue Führungsmannschaft ist eine beispiellose Demonstration der Macht von Xi Jinping. Sie ist absolut geworden, nachdem sein Vorgänger Hu Jintao jetzt womöglich als Warnung noch öffentlich gedemütigt wurde
Aus Peking Fabian Kretschmer
Als sich Sonntagmittag in Pekings Großer Halle des Volkes die goldene Tür öffnete, schritten die sieben mächtigsten Männer des Landes vor das Blitzlichtgewitter der Presse. Und was für eine Machtdemonstration Xi Jinping in diesem historischen Moment aufs Parkett legte! Sämtliche Kader des Ständigen Ausschusses, die künftig Chinas Kurs bestimmen, sind entweder ideologische Loyalisten oder langjährige Vertraute des 69-Jährigen. Seine Kontrolle des inneren Parteizirkels dürfte nun absolut sein.
Der wohl größte Paukenschlag: Direkt hinter Xi folgte der Technokrat Li Qiang, der damit als künftiger Premierminister gilt – also jenem Amt, das sich unter anderem um Chinas Wirtschaft kümmert. Für viele Konzernvorstände dürfte dies ein Schreckensszenario sein. Denn Li implementierte als Bürgermeister von Schanghai im Frühjahr den wohl weltweit größten Covid-Lockdown, bei dem die meisten der über 25 Millionen Einwohner zwei Monate in ihren Wohnungen und zu Hunderttausenden in unwürdige Quarantänelagern eingesperrt wurden.
Das sorgte nicht nur für unfassbares Leid, da zwischenzeitlich die Nahrungsmittelversorgung in Chinas wohlhabendster Stadt zusammenbrach. Vor allem war der Lockdown auch ein riesiger ökonomischer Schlag gegen die Finanzmetropole, von dem sie sich womöglich nie mehr ganz erholen wird. Zu schwer wiegt der traumatische Imageschaden der vollständigen Abriegelung Schanghais. Damals hätte jeder Experte vermutet, dass Li Qiangs Karriere beendet sein würde. Doch im System Xi wird er für seine dogmatische Art sogar noch zu Chinas zweitmächtigstem Mann befördert. Seine Leistung war schlicht, absolut loyal Pekings Befehle ausgeführt zu haben. Darauf kommt unter Xi an: absolute Loyalität statt Pragmatismus oder Fachkompetenz.
Europäischen Firmenvertretern in China dürfte damit spätestens jetzt klar werden, dass sich die ökonomischen Interessen verstärkt ideologischen Prinzipien und politischer Kontrolle unterordnen müssen. Der Fokus auf Wachstum ist passé. Den Apparatschiks fehlt es mittlerweile vollständig an einem ausgleichendem Element innerhalb des Ständigen Ausschusses. Sämtliche Wirtschaftsreformer und Pragmatiker, allen voran der bisherige Premier Li Keqiang und sein Vertrauter Wang Yang, gehen nun in Rente oder wurden womöglich ins politische Aus gedrängt.
Li Keqiang war der vielleicht letzte Kader, der bei seinen öffentlichen Auftritten die realen Probleme der gemeinen Bevölkerung ansprach, statt nur ideologische Floskeln zu dreschen. Dabei hatte der Ökonom zuletzt praktisch nur noch wenig zu sagen. Doch nun werden Leute wie er vollständig verstummen.
Trotz Kritik aus Peking sind Mitglieder des Menschenrechtsausschusses des deutschen Bundestags am Sonntag zu Besuch in Taiwan eingetroffen. Die bereits zweite Visite einer Bundestagsdelegation in diesem Monat dürfte für neue Verärgerung in Peking sorgen, das solche Kontakte anderer Länder zu Taiwan ablehnt. Chinas Führung betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit Eroberung. Die sechsköpfige vom FDP-Politiker Peter Heidt geleitete Gruppe, zu der auch Abgeordnete von SPD, Grünen und Union zählen, wird in Taiwan hochkarätig empfangen. Es gehe darum, für die „Selbstständigkeit Taiwans“ einzutreten, sagte Heidt vor der Abreise. Zum Abschluss des KP-Kongresses am Samstag in Peking hatten die 2.300 Delegierten erstmals den Widerstand gegen eine Unabhängigkeit Taiwans in die Parteiverfassung aufgenommen. Der Beschluss fordert „energischen Widerstand und Eindämmung der Unabhängigkeit Taiwans“. (dpa)
Am Samstag war es noch zu einem symbolischen Eklat gekommen: Bei der Abschlusszeremonie des Parteitags, kurz nachdem die internationale Presse auf der Zuschauertribüne Platz genommen hat, wurde Ex-Präsident Hu Jintao von einem Ordner des Saales verwiesen. Der 79-Jährige, dem die Abneigung ins greise Gesicht geschrieben stand, wehrte sich mehrfach, mochte offensichtlich nicht gehen. Als er unter Zwang hinaus eskortiert wird, versucht er sich noch mit einer Hand an der Schulter Xi Jinpings festzuhalten, doch dieser schaut nur auf den Boden.
Warum es zur öffentlichen Demütigung kam, wird man wegen der Verschlossenheit der Parteispitze wohl nie erfahren. Doch symbolisieren die Bilder den Beginn einer neuen Ära: Die alte Volksrepublik der Nullerjahre, verkörpert durch Hu, muss abtreten, um Platz für das neue China unter Alleinherrscher Xi zu machen.
Drei Theorien kursieren als Erklärungsversuche: Die Staatsmedien führen Hus schlechte Gesundheit als Grund für dessen Abgang an. Dabei teilte Chinas Nachrichtenagentur Xinhua dies nur in ihrem englischsprachigen Dienst auf Twitter mit, der im Reich der Mitte gesperrt ist. Für Chinesen im Land löschen die Zensoren alle Beiträge dazu. Zudem erklärt diese These nicht, warum Hu auf so erniedrigende Weise abgeführt wurde: Niemand dreht sich nach ihm um, keiner wünscht ihm gute Besserung.
Nicht wenige vermuten deshalb, dass es sich um eine bewusst inszenierte Demütigung von Xis Vorgänger gehandelt haben könnte – absichtlich erst dann rausgeführt, als die ausländischen Korrespondenten im Saal waren. Schließlich hatte Xi bei seiner Eröffnungsrede lang ausgebreitet, an welch drastischem Problem die Partei vor seinem Amtsantritt zu Zeiten Hus krankte. Andere vermuten hingegen, dass Hu die umstrittene dritte Amtszeit Xis nicht ohne Kritik dulden wollte und deshalb unter Zwang gehen musste.
Klar ist: Für einen durchchoreografierten Parteikongress, bei dem selbst die Teetassen auf den Tischen der Delegierten zentimetergenau voneinander platziert sind, war dies sehr ungewöhnlich. „Das war nicht nur ein Abschied von Hu Jintao, sondern auch von 43 Jahren Reformpolitik“, kommentiert ein chinesischer User auf Youtube.
Xi brach jetzt mit mehreren jahrzehntealten Konventionen der Partei: So kann derzeit kein Mitglied des Ständigen Ausschusses Erfahrungen im Staatsrat vorweisen. Auch widersetzte sich Xi der goldenen Regel, dass die erste Reihe der Parteikader spätestens mit 69 Jahren abdanken muss. Xi fühlt sich offenbar derart sicher im Amt, dass er sich um solche Normen nicht mehr zu scheren braucht. Und erstmals seit den späten Neunzigern gibt es keine einzige Frau mehr im 25-köpfigen Politbüro. Ein trauriger Rückschritt, der wohl langfristige Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter haben wird: Über Jahre wird jungen Chinesinnen ein politisches Vorbild fehlen, zu dem sie hinaufblicken können.
Am Sonntag fiel die große Stille in Chinas Internet auf: Als einige wenige Staatsjournalisten auf der Onlineplattform Weibo ihre Glückwünsche in patriotischen Postings formulierten, blockierten die Zensoren bereits vorab die Kommentarfunktion, um Kritik im Keim zu ersticken. Auch auf der App Wechat, auf der viele patriotische Chinesen sonst en masse die Parteipropaganda teilen, blieb es zunächst ruhig. Es schien, als ob die politischen Ereignisse von der Realität der Menschen völlig entkoppelt waren.
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