Russlandflaggen und vage Forderungen

Mehrere Tausend Teil­neh­me­r*in­nen hat die AfD am Samstag nach Berlin mobilisiert. Sie riefen rechtsextreme Parolen. Die Gegendemos fielen kleiner aus

Aus Berlin Gareth Joswig

Unter dem Motto „Unser Land zuerst“ sind am Samstag mehrere Tausend Menschen nach einem Aufruf der extrem rechten AfD durch das Berliner Regierungsviertel gezogen. Für welches Land demonstriert werden sollte, war vor Ort allerdings nicht eindeutig: Die Teil­neh­me­r*in­nen hatten bei der Auftaktkundgebung neben Deutschlandfahnen auch zahlreiche Russlandflaggen dabei, ebenso die von Pegidademos bekannten Wirmer-Fahnen. Dazu kamen mehrere Reichsflaggen und solche von Preußen, Sachsen und Thüringen. Einige Fahnen waren sogar zur einen Hälfte russisch und zur anderen deutsch. Ähnlich vage blieben abseits der Forderung nach einer Reparatur und Öffnung von Nord Stream 2 die Rufe nach Auswegen aus der Energiekrise.

Flankiert von Gegendemonstrationen mit jeweils mehreren Hundert Teil­neh­me­r*in­nen, initiiert von antifaschistischen Bündnissen, von den Gewerkschaften, Parteien und Kirchen, liefen die AfD-Demonstrant*innen an Regierungsgebäuden vorbei, um schließlich zu einer Abschlusskundgebung erneut vor den Reichstag zu gelangen. Vor allem die Treppe vor dem großen Haupteingang hatte die Polizei gut gesichert – auch um Bilder wie im August 2020 zu verhindern, als Rechtsextreme und Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen auf genau diese Treppe gestürmt waren. Am Samstag war der Reichstag mit Gittern abgesperrt und insgesamt 1.900 Po­li­zis­t*in­nen waren im Einsatz.

An vielen Ecken gab es neben Gegendemonstrationen und antifaschistischen Sprechchören auch kreativere Aktionen. An einer Stelle regnete es aus einem Gebäude aus AfD-Flyern gestanztes Konfetti auf die Demo, an einer anderen unterwanderten Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen mit einem vermeintlichen AfD-Plakat die Demo: „Preisdeckel, Umverteilung, Vergesellschaftung, Solidarität – alles, was es braucht, lehnt die AfD ab.“ Wütende Rechte, ein Handgemenge und ein paar Festnahmen waren die Folge.

Tatsächlich hatten zuvor die Redner auf der AfD-Kundgebung kaum soziale Aspekte angeschnitten. Der sächsische AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla hatte in seiner Rede hauptsächlich gegen den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gehetzt. Zudem schürten er und andere Redner ganz in Putins Sinne die Angst vor einem Atomkrieg und den wirtschaftlichen Abstieg. Russlandfreundliche Forderungen fanden sich nicht nur in den Reden, sondern auch auf zahlreichen Plakaten mit Aufschriften wie „Ich will russisches Gas“. Co-Bundessprecherin Alice Weidel hatte ihren Auftritt krankheitsbedingt abgesagt. Neben Chrupalla lief an der Spitze der Demo unter anderem Vize-Bundesvorstand Stephan Brandner mit. Nicht zu übersehen waren andere rechtsextreme Gruppen wie die Freien Thüringer sowie Neonazis in Thor-Steinar-Klamotten. Auch gab es offenbar vereinzelte Hitlergrüße. Der Rechtsextreme Arthur Österle, der selbst beim Sturm der Reichstagstreppe 2020 dabei gewesen war, kümmerte sich wie zuletzt auf dem AfD-Bundesparteitag in Riesa um „Security“. Viele Teil­neh­me­r*in­nen waren überregional mit Reisebussen nach Berlin gereist, die AfD hatte seit Wochen bundesweit mobilisiert. Die Demo sollte der Auftakt der Kampagne zum „heißen Herbst“ sein.

Gleich nach Beginn der Kundgebung soll laut der Jour­na­lis­t*in­nen-Union von Verdi ein Stern-TV-Team angegriffen worden sein, inklusive Beschädigung eines Geräts, Griffen ins Gesicht und der Aufforderung, den Mund-Nasen-Schutz abzunehmen.

Im Laufe Demonstration wuchs die Teil­neh­me­r*in­nen­zahl laut Polizeiangaben auf 10.000 Menschen. Auch die AfD sprach am Nachmittag von „rund 10.000 Menschen“ und wertete den Aufmarsch als Erfolg.

Für die AfD ist die Demo die erste größere Mobilisierung nach Berlin seit 2018, damals wurde die eigene Veranstaltung aber zahlenmäßig von einer Gegendemo mit rund 25.000 Teil­neh­me­r*in­nen übertroffen. Am Samstag waren deutlich weniger AfD-Gegner*innen unterwegs. Die Polizei schätzte ihre Zahl auf rund 1.500.