„Unteilbar“ teilt sich auf

Zwei GründerInnen des Unteilbar-Bündnisses, das bis zur Pandemie verschiedene soziale, feministische und antirassistische Gruppierungen auf die Straße brachte, erklären nun die Auflösung

Ulrich von Klinggräff arbeitet seit 1996 als Strafvertei­diger in Berlin und hat das #unteilbar Bündnis mit ins Leben gerufen.

Interview Christian Jakob

taz: Frau Nedelann, Herr von Klinggräff, alle reden vom „heißen Herbst“, von den anstehenden Sozialprotesten, viele fürchten, dass rechte Akteure diesen dominieren könnten. Ausgerechnet jetzt in diesen schweren Zeiten löst sich das mit Massenprotesten einst sehr erfolgreiche Unteilbar-Bündnis auf. Warum?

Ulrich von Klinggräff: Sie haben völlig recht – wann, wenn nicht jetzt, drängt die Zeit nach großen zivilgesellschaftlichen Bündnissen? Aber Unteilbar kann das nicht mehr sein. 2018, 2019 und 2020 sind uns große Mobilisierungen gelungen. Aber wir mussten feststellen, dass wir mit Beginn der Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind und nicht mehr die Fähigkeit haben, viele Leute auf die Straße zu bringen.

Welche Schwierigkeiten waren das?

Franziska Nedelmann: Die damalige Dynamik ist verloren gegangen. Es war durch die Pandemie nicht einfach, Aktive zu halten – am Anfang waren wir sehr viele, am Ende nur noch ein Kern von circa 20 Menschen. Gleichzeitig war eine Erwartungshaltung von außen entstanden, „darum“müsse sich Unteilbar kümmern.

Von Klinggräff: Hinzu kommt eine Ritualisierung des Demonstrationsgeschehens. Die letzte größere Aktion haben wir vor der Bundestagswahl im September 2021 gemacht. Aber da war keine Dynamik, keine Stärke mehr. Zur Demo kamen viele, aber es gab keine thematische Zuspitzung. Die Süddeutsche Zeitung schrieb vom „Charakter eines Familienfestes“. Da war was dran. Aktivistischere Gruppen, etwa aus dem feministischen und migrantischen Spektrum, hatten sich zurückgezogen.

Welche thematische Zuspitzung hätten Sie gern gehabt?

Nedelmann: Etwa in der Pandemie die Verschärfung der sozialen Ungleichheit. Gleichzeitig mussten wir viele unterschiedliche Akteure verbinden. Wir haben immer versucht, alle gleichzeitig mitzudenken, mussten uns deswegen am Ende aber fast auf Allgemeinplätze beschränken. Es ist irre schwierig, über so einen langen Zeitraum hinweg Bewegungsdynamik zu erhalten. Das ist auch ein Problem für die großen Organisationen, die viel länger für Entscheidungen brauchen und so ungewollt Aktivismus bremsen.

2018 fürchteten viele einen Durchmarsch der AfD und dass die Union umkippt und am Ende doch mit der AfD koaliert. Diese Angst ist heute nicht mehr so stark. Hat das bei Unteilbar am Ende ungewollt die Luft rausgelassen?

Von Klinggräff: Nein. Diese Gefahr eines Rechtsrutsches ist seit 2018 nicht geringer geworden. Damals kam richtig was ins Rutschen, als Konservative, Rechtspopulisten und Nazis aufeinander zugegangen sind. Die Zivilgesellschaft war in einer Schockstarre.

Franziska Nedelmann, Rechtsan­wältin und Strafverteidigerin in Berlin, ist seit 2018 beim Bündnis #unteilbar aktiv.

Wir wollten dem nicht tatenlos zusehen. Heute ist nicht mehr so deutlich, in welcher Gefährdungslage sich die Gesellschaft befindet, vielleicht auch, weil es die Klimakrise, die Ampelkoalition und den Ukrainekrieg gibt. Aber es gibt weiter die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Antifaschismus.

In der etwas nebulösen Auflösungserklärung ist von „neuen Bündnissen“ die Rede. An was ist da gedacht?

Von Klinggräff: Für die Zukunft ist uns wichtig, sich mit Kraft gegen Linksnationalismus zu wenden, nach Ausdrucksmöglichkeiten für progressive Ansätze jenseits nationalistischer Ideen wie etwa bei „Aufstehen“ zu suchen.

Nedelmann: Es gab kein Zerwürfnis, eher die Feststellung, dass ein Zyklus vorbei ist. Wir wollen weiter in der Diskussion bleiben und schauen, wo es Ansätze gibt, gemeinsam mehr Menschen auf die Straße zu bringen, als Einzelbündnisse dies könnten.