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Schärfer sehen, was es zu sehen gibt

Die Alfred Ehrhardt Stiftung feiert ihr 20-jähriges Jubiläum und die sachliche Fotografie ihres Namensgebers

So schön und sachlich, dass es wieder unpolitisch war: Alfred Ehrhardts Strukturen im Sandboden von 1933/1936 Foto: ©Alfred Ehrhardt-Stiftung

Von Ronald Berg

Es widerfährt nur wenigen Fotografen, dass ihr Lebenswerk Anlass zur Gründung einer Stiftung wird. Wenn es doch passiert, dann ähnelt die Arbeit einer solchen Stiftung den klassischen Aufgaben eines Museums: bewahren, erforschen, ausstellen.

Die 2002 gegründete Alfred Ehrhardt Stiftung (AES) befand sich zunächst im selben Haus in Köln wie die Stiftung „Fotografie und Kunstwissenschaft“. Von Ann und Jürgen Wilde ein Jahr zuvor gegründet, ging es dort um Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch, zwei thematisch verwandte Fotografen. Auch Alfred Ehrhardt (1901–1984) gehört in das Umfeld der Neuen Sachlichkeit, die in den 1920er Jahren entstand.

Christiane Stahl – bis heute erste und einzige Direktorin der AES – bekennt, im Umgang mit Ehrhardts über 20.000 Abzügen und 13.000 Negativen viel von den Wildes gelernt zu haben. Bereits 1972 hatte das Paar in Köln eine der ersten Fotogalerien Europas eröffnet.

Doch zur Gründung und zum Betrieb einer Stiftung, die wie ein Museum arbeitet, braucht es neben Sachverstand vor allem Geld. Ohne die ständig neu aufgefüllten Kapitalmittel durch den Sohn von Alfred Ehrhardt, dem Münchener Vermögensverwalter Jens Ehrhardt, hätte es weder die AES gegeben, noch würde sie bis heute arbeiten können.

Das führt die aktuelle Jubiläumsschau der Stiftung in der 2008 bezogenen Adresse in der Berliner Auguststraße vor. Immerhin zählte die AES – bevor Corona kam – rund 20.000 Besucher im Jahr. Seit 2002 waren 70 Ausstellungen zu sehen. Nicht nur zum Werk von Ehrhardt, die AES präsentiert auch zeitgenössische Fotografie, die sich im weitesten Sinne mit Ehrhardts zentralem Thema der „Natur“ befasst.

Auch in der aktuellen Schau kommt das Thema natürlich vor. Die AES nutzt die Gelegenheit, überdies Einblicke auf bislang unbekannte Bestände von Ehrhardt zu geben. Dabei rücken Christiane Stahl und ihre drei Ko‑ Kuratorinnen auch die Forschung an der Fotografie ins Licht, die ja sonst eher im Verborgenen passiert.

Die Nazis ließen ihn gewähren

Ehrhardts bekannteste Aufnahmen sind sicher die vom „Watt“. Das Buch „Das Watt“ über die vielgestaltigen Formen der Schlicklandschaft an der norddeutschen Küste erschien mitten in der Nazi-Zeit, 1936 gab es dazu in Hamburg eine Ausstellung. Die Fotos fanden enormen Anklang – trotz oder gerade wegen der seinerzeit ungewöhnlichen Formsprache. Ehrhardt zeigte nur grafische Strukturen, meist ohne Horizont oder stimmungsvollen Wolkenhimmel. Stattdessen entdeckte Ehrhardt Formen, die an Blattadern erinnern, an Vogelfedern oder Wüstendünen.

Bemerkenswert war Ehrhardts Erfolg beim Publikum auch deshalb, weil er nach der Machtergreifung der Nazis als Lehrer an der Landeskunstschule Hamburg entlassen wurde. Es genügte der Umstand, dass Ehrhardt die Lehr‑ und Gestaltungsprinzipien, die er selbst in den Jahren 1928/29 als Student am Bauhaus kennengelernt hatte, in seinem eigenen Kunst- Unterricht zur Anwendung brachte. Es erstaunt deshalb, dass Ehrhardt mit seinen „Watt“-Fotos eine abstrakte Formensprache fortsetzen konnte, die sonst im NS-Kunstbetrieb tabu war. Da seine Kamera aber getreulich die Natur wiedergab, ließ man ihn gewähren. Zumal Ehrhardts Haltung unpolitisch war und an romantische Vorstellungen von Urformen anschloss.

Die AES konzentriert sich beim „Watt“ nun aber auf die verschiedenen Darbietungsformen des Fotografischen: So etwa in diversen Buchausgaben, die in der Aufmachung variieren. Das Buch wurde mehrfach auch nach dem Krieg noch aufgelegt. Zudem wird mit den in Größe und Technik variierenden Abzügen zum „Watt“ deutlich, dass in der Fotografie der Begriff des Originals problematisch wird.

Am ehesten noch greift die Originalidee beim fotografischen Negativ. Auch ihm ist ein Kapitel gewidmet, dass nicht nur Ehrhardts verschiedenen Glas‑ und Zelluloidträger vorführt, sondern auch erklärt, was man aus ihnen an Informationen herausliest.

Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Vergleich von Malerei mit der Fotografie bei Ehrhardt. Seine frühen Gemälde mit abstrahierten Küsten‑, See‑ und Schiffsmotiven – bislang nie ausgestellt – präludieren bereits sein fotografisches Werk. Das wiederum wäre wohl kaum entstanden ohne das Berufsverbot als Kunstlehrer durch die Nazis, wie in der Folge die vielen Kulturfilme, die Ehrhardt bis in die siebziger Jahre gedrehte. Ein kleiner Zusammenschnitt dieser seinerzeit im Kinovorprogramm gezeigten Kurzfilme ist ebenso Teil der Jubiläumsschau.

Mit einem erst jüngst entdeckten Fund aus dem Nachlass schließt die Schau. „Deutschlandfahrt 49“ ist eine nie veröffentlichte Reportage aus Nachkriegsdeutschland, in der Ehrhardt seine neusachliche Bildsprache bei Aufnahmen von Landschaften und Industrieanlagen mit einfließen lässt.

Es scheint also, dass es bei Ehrhardt an Forschungsaufgaben selbst nach 20 Jahren nicht mangelt.

„20 Jahre Alfred Ehrhardt Stiftung – Fotografie Film Malerei Zeichnung“, Auguststr. 75, bis 23. Dezember

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