: Die russische Sprache nicht Putin überlassen
Zum Auftakt der Reihe „Postsoviet Cosmopolis“ beim internationalen literaturfestival berlin treffen vier Frauen aus drei Ländern im Collegium Hungaricum zusammen
Von Katharina Granzin
Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Wir alle in Europa, vor allem aber jene von uns, die in Osteuropa beheimatet sind. Der Krieg in der Ukraine wirbelt alte Gewissheiten durcheinander wie lange nichts mehr; besonders für Menschen, die in einem der Nachfolgestaaten der Sowjetunion aufgewachsen sind. Nicht nur sie müssen ihr Verhältnis zu Russland neu ordnen. Da von den Künsten, speziell von der Literatur, mit am meisten erwartet wird, Fragen zu stellen und mit kreativen Mitteln nach Antworten zu suchen, hat das gerade gestartete internationale literaturfestival berlin (ilb), das bis zum 17. September dauert, gleich eine Veranstaltungsreihe auf die Beine gestellt, die sich mit dem einstigen sowjetischen Raum beschäftigt.
Neben Lesungen und Gesprächsrunden stehen auch Filme auf dem Programm: Eine hervorragende Gelegenheit, sich etwa mit dem Werk von Sergei Loznitsa vertraut zu machen, der wegen „Kosmopolitismus“ im letzten Jahr aus der ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen wurde (Loznitsa hatte sich unter anderem geweigert, seinen neuen Film vom Festival in Cannes zurückzuziehen, was von ihm erwartet worden war, weil dort auch ein Film des Russen Kirill Serebrennikow gezeigt wurde. Serebrennikow, der in Russland lange im Hausarrest gesessen hatte, lebt mittlerweile in Deutschland im Exil).
Zur Auftaktveranstaltung von „Postsoviet Cosmopolis“ kamen am Freitag vier Frauen aus drei Ländern zusammen, um gesprächsweise das weite Feld zu beackern, das der Titel der Reihe anspricht. Zwei Ukrainerinnen, eine Belarussin, eine Deutsche und keine Russin. Als Moderatorin fungiert die Verlegerin Kateryna Mishchenko; ihr zur Seite sitzen die Autorin und Fotografin Yevgenia Belorusets, die Journalistin Ljubou Kaspjarowitsch sowie die Slavistin Susanne Frank von der Humboldt-Universität. Frank, der es zukommt, den ersten Redebeitrag zu liefern. Sie schlägt einen großen Bogen und beginnt damit, den Begriff des „Postsowjetischen“ infrage zu stellen, weil er die Gefahr berge, dass damit „eine Vergangenheit neu besetzt“ werde, „die man gehofft hatte, hinter sich gelassen zu haben“. Durch den russischen Angriffskrieg habe der Begriff neue Aktualität gewonnen. Auch Fragen nach der Politisierung und Nationalisierung von Literatur stellten sich verstärkt.
Yevgenia Belorusets, die zwei Stunden zuvor an gleicher Stelle aus ihren Kiewer Kriegstagebüchern gelesen hat (die als Spiegel- bzw. Radio-Kolumnen entstandenen Texte erscheinen im Oktober als Buch), steuert eine ukrainische Perspektive bei und weist unter anderem darauf hin, dass die Sowjetunion mit all ihren sozialen Verwerfungen nicht sehr weit in der Vergangenheit liege. Sie habe selbst noch als Kind erlebt, wie die Eltern nachts verbotene Literatur druckten und politisch verfemte Bekannte bei ihnen in der Küche saßen. Ljubou Kaspjarowitsch schließlich spricht von der Zweiteilung der belarussischen Gesellschaft in eine zivilgesellschaftlich orientierte und eine quasisowjetische Strömung. Sie selbst habe zwei Wochen im Gefängnis verbracht, nur weil sie ihrer ganz normalen journalistischen Arbeit nachgegangen sei. JournalistInnen würden pauschal als extremistisch verunglimpft, und Recherchen würden immer schwieriger, weil Menschen Angst hätten, mit „Extremisten“ zu reden.
Entfremdung durch Worte
Bald dreht sich das Gespräch wie von selbst um das Thema Sprache. Dass Putin Sprache als Waffe benutze, indem er Begriffe (z. B. „faschistisch“) neu besetze, die dadurch gleichsam unbrauchbar werden, beklagt Frank. Belorusets beschreibt, wie Putin versucht habe, die UkrainerInnen anhand ihrer verschiedenen Sprachen einander zu entfremden. Kaspjarowitsch erzählt, wie sie selbst, die in einer Belarussisch sprechenden Familie aufgewachsen ist, erst sehr spät erkannt habe, dass sie vom öffentlichen Leben in Belarus geradezu „russifiziert“ worden sei.
Es gibt in Belarus keine einzige Universität, in der auf Belarussisch unterrichtet wird, und auch die in den Medien vorherrschende Sprache ist Russisch. Daher versuche sie nun, so viel wie möglich auf Belarussisch zu schreiben. Yevgenia Belorusets erzählt, dass sie in einer russischsprachigen Familie in Kiew aufgewachsen sei, aber auf Ukrainisch studiert habe. Ihr Kriegstagebuch hat sie auf Deutsch verfasst, und in der Schreibweise ihrer Heimatstadt wechselt sie ab zwischen „Kiew“ und „Kijiw“.
Alle sind sich einig darüber, dass sie die russische Sprache jedenfalls nicht Putin überlassen wollen. Am Ende sagt jemand aus dem Publikum, das sei alles sehr interessant gewesen und er habe nun viel gehört über das Postsowjetische. Könnten die Beteiligten nun auch noch etwas zu „Cosmopolis“ sagen? Da lächelt Kateryna Mishchenko und macht eine ausladende, die kleine Runde ganz umfassende Armbewegung: „Das hier, das ist Cosmopolis.“
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