Der Weg zur klimafreundlichen Mobilität: Verkehrswende im Rückwärtsgang

Der Hamburger Senat will günstige Elektroshuttles wieder abschaffen, kaum dass sich die Fahrgäste daran gewöhnt habe. Das Nachfolgemodell wird teurer.

Ein Ioki-Auto flitzt eine Straße entlang

Kam gut an im Hamburger Westen: Ioki-Shuttle Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Die Menschen in Lurup und Osdorf sind wütend. Mit über 600.000 Fahrgästen seit dem Start im Juli 2018 ist der Ioki-Shuttle eigentlich ein erfolgreiches Modell. Doch nun müssen die An­woh­ne­r:in­nen am westlichen Stadtrand Hamburgs dabei zusehen, wie gut funktionierende Mobilität vor ihren Augen abgebaut wird. Der Senat möchte die Shuttles zum Jahreswechsel in Harburg einsetzen, der Betrieb in Lurup und Osdorf soll dann eingestellt werden.

Über eine App lassen sich die teilelektrischen Fahrzeuge spontan oder für einen bestimmten Zeitpunkt im Voraus buchen. Fahrgäste bezahlen den Tarif des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) plus einen Euro pro Fahrt. Für 15 Euro im Monat entfällt der Aufpreis. Die Ioki-Fahrer:innen sammeln auf dem Weg nicht selten weitere Fahrgäste ein. Algorithmen sorgen dafür, dass beim Ridepooling keine zu großen Umwege gemacht werden, die Fahrzeuge aber trotzdem bestmöglich ausgelastet sind.

Dass ein Ridepooling-Service in Randgebieten als Ergänzung zum existierenden öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine gute Idee ist, befand auch das Bundesverkehrsministerium, das Ioki 2019 mit dem Deutschen Mobilitätspreis auszeichnete. Im April wurde die Bahn-Tochter zusätzlich mit dem Verkehrswendepreis der Allianz pro Schiene prämiert.

Betrieben wird der Service von den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein. Ioki gibt es aktuell auch bis Ende 2022 in Hamburg-Billbrook, in Ahrensburg und im Raum Brunsbek/Trittau/Lütjensee soll Ioki noch bis 2024 fahren. Ab 2023 werden in Hamburg-Harburg 28 Ioki-Fahrzeuge den Betrieb aufnehmen, doppelt so viele wie in Lurup und Osdorf. Der Betrieb ist vorerst auf zwei Jahre befristet, dann soll eine Evaluation stattfinden.

Der Sozialverband ist sauer

Dass es im chronisch schlecht an den ÖPNV angebundenen Hamburger Süden Bedarf an neuen Mobilitätsangeboten gibt, bestreitet in Osdorf und Lurup niemand, dass dafür aber das gerade einmal vier Jahre junge Angebot ohne Beteiligung der Bür­ge­r:in­nen eingestampft werden soll, stößt den Menschen im Hamburger Westen sauer auf.

Mehrere Verbände und Bürgerinitiativen haben sich daher zusammengeschlossen, um den Senat und die Verkehrsbehörde zum Umdenken zu bewegen. Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbandes Deutschland, wirft dem Senat vor, die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort außer Acht zu lassen. „So lassen wir nicht mit uns umgehen!“, schimpft Wicher bei einer Kundgebung der Initiative. Es brauche vielmehr eine Ausweitung von Ioki auf das gesamte Stadtgebiet.

Es sind überwiegend ältere Menschen, die für die Erhaltung des Ioki demonstrieren. Viele von ihnen schätzen das barrierefreie und günstige Angebot. Das Durchschnittseinkommen in Lurup liegt etwa 30 Prozent unter dem Hamburger Schnitt. Sabine Tengeler, die sich im Luruper Forum für ihren Stadtteil stark macht, erzählt, sie kenne Senior:innen, die sich nur für das Ioki ein Smartphone zugelegt hätten.

Vor allem die älteren An­woh­ne­r:in­nen können sich noch an Zeiten erinnern, als Lurup komfortabel per Straßenbahn erreichbar war. Mit dem Rückbau der Straßenbahn in den 1970er-Jahren wurde erst eine Anbindung an die U-Bahn, später an die S-Bahn versprochen – bis heute ist das Gebiet nur mit dem Bus zu erreichen.

Shuttle ist wichtig für Menschen im Rollstuhl

Anja Plenge ist Anwohnerin und Nutzerin von Ioki. Sie hat eine Petition für das Shuttle gestartet. Sie berichtet von Menschen im Rollstuhl, die ohne Ioki nur einmal die Woche einen Transportdienst gestellt bekommen, von mobilitätseingeschränkten Menschen, für die der Weg zur nächsten Bushaltestelle ein Kraftakt ist, und von einer Pflegerin, für die der Weg zu ihren Pa­ti­en­t:in­nen ohne Ioki entweder deutlich länger oder deutlich teurer wird.

Der Senat möchte als Ersatz zum Jahreswechsel das Betriebsgebiet der Moia-Shuttles auf Osdorf und Lurup ausweiten. Die schwarz-goldenen Busse des Volkswagen-Konzerns fahren seit 2019 in der Hamburger Innenstadt. Anders als bei den Ioki-Shuttles, die in Hamburg bei drei Vierteln der Fahrten als Zubringer zur S-Bahn genutzt werden, will Moia eine Alternative zum klassischen ÖPNV darstellen.

Fahrten in den elektrischen Ridepooling-Bussen sind preislich zwischen ÖPNV und Taxi angesiedelt. Bis zum Start in Lurup und Osdorf soll Moia erstmals einen barrierefreien Service anbieten. Anders als bei Ioki war die Mitfahrt mit einem Rollstuhl oder einem Kinderwagen bislang nicht möglich.

Die Verkehrsbehörde rechtfertigte sich, es sei von Anfang an klar gewesen, dass es sich bei Ioki um ein befristetes Projekt handelt. Ziel sei nun, Moia langfristig als On-Demand-Anbieter nördlich der Elbe zu etablieren und Ioki südlich der Elbe, da ein solches Angebot dort bislang gefehlt habe.

„Dadurch erhalten die Menschen in Osdorf/Lurup künftig Zugang zu einem deutlich größeren Bediengebiet und den Anschluss an ein On-Demand-System, das nahezu das gesamte Stadtgebiet und äußere Stadtteile umfasst sowie perspektivisch ausgeweitet wird“, teilte die Behörde mit.

Dafür müssen die An­woh­ne­r:in­nen aber auch tiefer in die Tasche greifen. Für die Fahrt mit dem Moia braucht es zwar kein gültiges HVV-Ticket, dafür kostet die Fahrt vom Luruper Zentrum zum nächsten S-Bahnhof mit rund fünf Euro das Doppelte des Ioki-Tarifs.

Da die Moias auch in den Hamburg-Takt eingebunden werden – niemand soll mehr als fünf Minuten zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel brauchen – soll langfristig auch die Tarifstruktur mit der des HVV verknüpft werden.

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