Getreideexporte erfolgreich

Schon 170.000 Tonnen Agrarprodukte konnten per Schiff aus der Ukraine ausgefahren werden, einer der Frachter ist bereits am Zielhafen angekommen – ausgerechnet das erste Schiff, die „Razoni“, jedoch nicht

Der Frachter „Navi Star“ verlässt Odessa Foto: Fo­to:­ Pavlo Gonchar/Zuma/imago

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Der Getreidetransport aus ukrainischen Häfen läuft. Wie ein Sprecher des Istanbuler Koordinationszentrums am Montag erklärte, sind seit dem Start des ersten Schiffes vor einer Woche nun insgesamt 10 Getreidetransporter aus der Ukraine mit insgesamt 170.000 Tonnen Getreide an Bord unterwegs. Die letzten beiden liefen am Montagmorgen aus den Häfen Tschornomorsk und Pivdennyi aus.

Mit Pivdennyi ist nun auch der dritte und letzte Hafen in Betrieb genommen worden, der in der am 22. Juli von Russland und der Ukraine in Istanbul unterzeichneten Vereinbarung als Ausgangshafen genannt wird. Die beiden Schiffe „Sakura“ auf dem Weg nach Italien und die „Arizona“ auf dem Weg in die Niederlande haben zusammen 60.000 Tonnen Agrarprodukte geladen.

Nachdem am Sonntag mit der „Fulmar S“ auch der erste leere Frachter in Tschornomorsk angekommen war, um neu mit Getreide beladen zu werden, hat nun ein weiteres leeres Schiff auf dem Weg in die Ukraine den Bosporus passiert und wird demnächst die Ukraine erreichen. Der Bosporus, die Wasserstraße quer durch Istanbul, ist das Nadelöhr, an dem alle am Getreidetransport beteiligten Schiffe gemäß der Istanbuler Vereinbarung kontrolliert werden.

Das Kontrollzentrum in Istanbul, in dem neben türkischen Marineoffizieren auch Vertreter aus Russland und der Ukraine präsent sind, überwacht jeden Transport zur und aus der Ukraine genau. Moderiert wird das Kontrollzentrum von den Vereinten Nationen und einem türkischen Admiral. Am Ausgang des Bosporus ins Schwarze Meer ist ein Areal festgelegt worden, wo alle Getreidetransporter ankern müssen und von den Teams aus dem Kontrollzentrum inspiziert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass aus der Ukraine kommende Schiffe genau das geladen haben, was angekündigt und genehmigt wurde, und dass leere Frachter Richtung Ukrai­ne keine Waffen transportieren.

Angesichts neuer gegenseitiger Vorwürfe zwischen Russland und der Ukraine wächst international die Sorge um Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja. UN-Generalsekretär António Guterres warnte am Montag: „Jeder Angriff auf ein Atomkraftwerk ist eine selbstmörderische Angelegenheit.“ Das AKW im Süden der Ukraine, das unter russischer Kontrolle steht, wurde in den vergangenen Tagen mehrfach mit Raketen beschossen. Die beiden Kriegsparteien geben sich gegenseitig die Schuld. Guterres verlangte, dass Experten der Internationalen Atomenergie-Behörde Zugang zu Saporischschja bekommen. Russland lehnt dies bislang ab.

Referendum geplant

Im russisch besetzten Teil des Gebiets Saporischschja fiel unterdessen der Startschuss für ein Referendum zum Beitritt zu Russland. Der moskautreue Militärgouverneur Jewgeni Balizki unterzeichnet dazu einen Erlass. Einen Termin nannte er nicht. (dpa)

Die türkische Seite hat sich bislang zufrieden mit dem Ablauf der Kontrollen geäußert. Die russischen und ukrainischen Teams werden jeweils getrennt von der türkischen Küstenwache zu den Schiffen gebracht und können dann dort Ladung und Mannschaft überprüfen. Mittlerweile dauert jede Kontrolle durchschnittlich rund zwei Stunden. Für die Türkei ist das Getreidetransportabkommen ein großer politischer Erfolg, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gerne durch weitere Verhandlungen mit den beiden Kriegsparteien ausbauen würde. Erst am Freitag hatte er sich unter anderem deswegen in Sotschi am Schwarzen Meer mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen.

Unterdessen ist der erste Getreidetransporter auch an seinem Zielhafen angekommen. Die türkische „Polarnet“ machte am Montagvormittag bei Izmit am Marmarameer fest. Ganz anders das am letzten Montag als erstes gestartete Schiff „Razoni“. Die unter der Flagge von Sierra Leone fahrende „Razoni“, die angeblich 26.000 Tonnen Mais nach Tripoli im Libanon bringen sollte, war am Montagmittag immer noch nicht dort angekommen. Nach letzten Meldungen liegt sie außerhalb der türkischen Hoheitszone vor der türkischen Küste nahe der syrischen Grenze, ohne Fahrt zu machen.

Während der ukrainische Botschafter im Libanon sagte, er wisse nicht, wann die „Razoni“ nun endlich ankommen wird, soll nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters das Schiff seinen Kurs und seinen Status geändert haben, um nach neuen Käufern für seinen Mais zu suchen. Quellen im Libanon vermuten, dass der unbekannte Eigentümer der „Razoni“ mit dem syrischen Regime von Baschar al-Assad zusammenhängen könnte.