Vor der Schwimm-EM in Rom: Bald trinken sie Wodka

Im Schwimmbecken sind Florian Wellbrock und Michailo Romantschuk Konkurrenten. Doch der Deutsche und der Ukrainer fühlen sich nicht so.

Florian Wellbrock und Michailo Romantschuk im Schwimmbecken

Wellbrock (l.) verzichtet in Rom nach Corona auf die 800 Meter – Kollege Romantschuk tritt an Foto: imago/Bildbyrån

Es war ein munterer ukrainischer Abend, den Florian Wellbrock und Bernd Berkhahn Ende Juni in Budapest erlebten. Eingeladen hatte die beiden die Familie von Michailo Romantschuk – als Dank dafür, dass sie dem zweifachen Medaillengewinner der Tokio-Spiele nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukrai­ne bei sich in Magdeburg ein neues sportliches Zuhause gegeben hatten. Bei der WM in Ungarn fischten Freiwasser-Olympiasieger Wellbrock und Romantschuk ihre Medaillen dann gemeinsam aus dem Pool. Und trafen sich zwischendurch zum fröhlichen Dinner.

Weil am darauffolgenden Tag schon wieder das nächste Rennen auf dem Programm stand, ließen Wellbrock und sein Heimtrainer Berkhahn vom Wodka, der erwartungsgemäß auf dem Tisch stand, die Finger. Alles andere genossen sie in der Runde mit Romantschuks Mutter, seiner Schwester und einigen Freundinnen der Familie aber in vollen Zügen. „Sie waren extrem gastfreundlich und herzlich. Ich bin reingekommen, und sie haben mich direkt alle mit Umarmungen begrüßt – als wenn ich schon lange zur Familie dazugehören würde“, erzählt Wellbrock von der „sehr deftigen, sehr herzhaften ukrainischen Küche“ – und versichert: „Das war sehr lecker.“

Seine vielen WM-Starts vorher und nachher hatten für den gebürtigen Bremer allerdings Konsequenzen. Eine Corona-Infektion kurz nach den Titelkämpfen durchkreuzte seine Vorbereitung auf die EM in Rom, bei der die Beckenschwimmer am Donnerstag loslegen. Zehn Tage lang hatte Wellbrock Symptome – und danach dauerte es noch eine Woche, bis seine Tests wieder negativ waren.

Schon bei seinem 5. und letzten WM-Start in Budapest, den 10 Kilometern im Freiwasser, habe er gemerkt, dass ihm sein Pensum an die Substanz ging. „Wäre ich ausgeruht aus dem Urlaub gekommen, hätte mich Corona vielleicht nicht so umgehauen“, sinniert Wellbrock. In Rom tritt er deshalb mit der gebotenen Vorsicht auf den Startblock. „Wir werden aus der Situation heraus entscheiden, welche Strecken er schwimmt oder ob er abreist“, kündigt Bundestrainer Berkhahn an, der bei der WM auch Trainingsdauergast Romantschuk betreuen wird.

Wie lange Wellbrock in Italien bleibt, ist also offen. Seine Erinnerungen an die WM 2009 in Rom sind als unsichtbares Reisegepäck aber definitiv mit dabei. Es war die Zeit der Superanzüge – in der der deutsche Freistilspezialist Paul Biedermann US-Superstar Michael Phelps, ein Jahr zuvor achtfacher Olympiasieger von Peking, über 200 Meter besiegte.

Rufe für Phelps, gegen Biedermann

Wellbrock, damals elf, erinnert sich: „Zu der Zeit war ich ein riesengroßer Michael-Phelps-Fan. Und Schande über mein Haupt – ich habe Phelps angefeuert, nicht Paul Biedermann. Dass Phelps dann auf einmal verloren hatte, war so ein Unding, das bei mir überhaupt gar nicht in den Kopf reingepasst hatte.“

Seinen noch immer gültigen römischen Weltrekorden über 200 und 400 Meter Freistil trainierte Biedermann damals in der maroden Schwimmhalle von Halle (Saale) entgegen. Heute müssen sich Roman­tschuk und Wellbrock beim Training in Magdeburg die acht Bahnen schon mal mit der Öffentlichkeit teilen.

„Natürlich ist Michailo aufgefallen, dass bei uns einige Sachen ein bisschen besser und andere ein bisschen schlechter sind“, erzählt Wellbrock. „In der Ukraine hat er zum Beispiel ganz lange allein trainiert, nur mit seinem Trainer am Beckenrand. Bei uns dagegen ist es durch den Platzmangel natürlich etwas voller. Das sind schon Umstellungen für ihn. Aber damit geht er sehr gut um.“

Zum ersten Mal aufeinander trafen die beiden im April 2018 bei den Swim Open in Stockholm. Wellbrock unterbot damals den 27 Jahre alten deutschen Rekord über 1.500 Meter Freistil – und schmunzelt heute: „Das kam, glaube ich, sehr überraschend für ihn. Er hatte mich gar nicht auf dem Zettel.“ Danach sahen sich die beiden bei verschiedenen Trainingslagern und Wettkämpfen immer wieder, plauderten miteinander, verstanden sich. Und vor fünf Monaten bot Wellbrock dem ukrainischen Kontrahenten dann an, bis auf Weiteres Unterschlupf in der Magdeburger Trainingsgruppe zu finden.

Nun stehen die Titelkämpfe in Rom an – und danach wartet ein Fragezeichen. „Es war mit allen Parteien erst mal so abgestimmt, dass Michailo bis zur EM bei uns bleibt. Wie es danach weitergeht, steht noch nicht fest“, erklärt Wellbrock. Und Romantschuk selbst sagt angesichts des andauernden Kriegs in seiner Heimat: „Für die Ukraine ist es zurzeit schwer, weit nach vorne zu blicken. Aber wir hoffen das Beste.“

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