Rolle der Türkei im Syrien-Krieg: Keine Entwarnung für Rojava

Das autonome nord- und ostsyrische Gebiet feiert den zehnten Jahrestag der Rojava-Revolution. Viele Feiernde sorgt der Iran-Türkei-Russland-Gipfel.

Eine Menschenmenge jubelt vor einer Bühne

Die Feierlichkeiten in Qamishlo Foto: Christopher Wimmer

QAMISHLO taz | Am Abend des 19. Juli feiern in der nord-syrischen Stadt Qamishlo tausende Menschen den zehnten Jahrestag der „Rojava-Revolution“ – die kurdisch-dominierten Regionen im Nordosten des Landes erklärten damals ihre Autonomie vom syrischen Staat. Zeitgleich kamen im rund 900 Kilometer entfernten Teheran die Staatschefs von Russland, Iran und der Türkei zusammen. Die beiden Veranstaltungen sind eng miteinander verbunden – während der Feier im reich geschmückten Stadion in Qamishlo blicken viele Menschen immer wieder auf ihr Smartphone. Sie warten auf Neuigkeiten aus Teheran.

Denn ganz oben auf der Tagesordnung des trilateralen Treffens zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinen iranischen und türkischen Amtskollegen Ebrahim Raisi und Recep Tayyip Erdoğan stand der seit 11 Jahren andauernde Konflikt in Syrien. Moskau und Teheran sind die beiden wichtigsten Unterstützer des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Ankara hingegen unterstützt islamistische Rebellengruppen, die gegen das Regime – aber vor allem auch gegen die kurdisch geprägte Selbstverwaltung Rojava – vorgehen.

Neu entfacht wurde der Interessenskonflikt in der Region durch Erdoğans Ankündigung im Mai dieses Jahres, einen erneuten Vorstoß in Syrien zu starten und eine 30 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ auf der syrischen Seite der türkischen Grenze zu errichten. Genau dort liegt das Autonomiegebiet Rojava, das von den sogenannten Demokratischen Streitkräften Syriens (SDF) verteidigt wird – die Ankara als Ableger der als terroristisch eingestuften Kurdischen Arbeiterpartei PKK einstuft.

Die Türkei beschießt regelmäßig die Grenzgebiete mit Drohnen und schwerer Artillerie. In bisher drei Angriffskriegen hat die Türkei seit 2016 bereits große Teile Rojavas besetzt. Erdoğan hatte zuletzt wiederholt erklärt, die nordwestsyrischen Städte Minbij und Tel Rifaat von den „Terroristen“ der SDF zu „säubern“. Vom Treffen in Teheran versprach er sich dafür Rückendeckung – doch die scheiterte weitgehend.

Rojava hat den Ausnahmezustand ausgerufen

Denn ein Ziel der Türkei wäre der syrische Ort Tel Rifaat – in der Nähe liegen die vom Iran unterstützten schiitischen Siedlungen Nubl und Zahraa. Auch nach einem bilateralen Treffen mit Putin deutete Erdoğan an, dass er es nicht geschafft habe, Putin von einem Angriff zu überzeugen. Dieser sagte, dass die Syrer „ohne Einmischung von außen über ihr eigenes Schicksal entscheiden“ sollten. Das sehen auch die USA so und haben sich ebenfalls gegen einen Angriff ausgesprochen.

Für Rojava bedeutet das aber keine Entwarnung. Vor knapp zwei Wochen hat die Selbstverwaltung den Ausnahmezustand ausgerufen. Es bereitet sich auf einen erneuten Krieg vor.

Den Jahrestag der Revolution am 19. Juli feierte man aber trotzdem. Genau vor zehn Jahren übernahmen bewaffnete kurdische Einheiten die Kontrolle über die nordsyrische Stadt Kobane. Von dort breitete sich die Revolution in den nächsten Tagen auf weite Teile Nordsyriens aus. Dabei kam es zu keiner größeren militärischen Auseinandersetzung, da sich Assads Armee ohne nennenswerten Widerstand zurückzog.

An die Entwicklungen der letzten zehn Jahre erinnerte zunächst ein internationales Forum, das in der Nähe der Stadt Amude stattfand. Mehrere Dutzend Teil­neh­me­nde aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft diskutierten unter dem Motto „Leistungen, Herausforderungen, Perspektiven“ die Entwicklungen der Gesellschaft Rojavas – unter ihnen der Co-Vorsitzende der in Rojava regierenden Partei der Demokratischen Union, Salih Muslim, und Amina Omar, Co-Vorsitzende des Demokratischen Rates Syriens, der politische Arm der SDF.

Rojava sei „ein Beispiel für die ganze Welt“

Aus Europa war unter anderem der ehemalige französische Außenminister und Mitbegründer von Ärzte ohne Grenzen, Bernard Kouchner, zugegen und erklärte seine Solidarität. Zu den Anwesenden sagte er: „Sie sind nicht allein. Sie sind ein Beispiel für die ganze Welt. Wir werden die Rojava-Revolution niemals vergessen.“

Viele Teil­neh­me­nde betonten die Bedeutung Rojavas für eine demokratische Entwicklung der Region: “Die Revolution unterscheidet sich grundlegend von anderen Revolutionen. Uns ging es nicht darum, einen neuen Staat aufzubauen, sondern die Mentalität der Menschen zu ändern“, so Muslim. Man wolle eine demokratische und freie Gesellschaft für alle Menschen in Syrien aufbauen.

Bei Musik und Feuerwerk konnten viele die Gefahr eines Kriegsausbruchs für eine kurze Zeit vergessen. Um gemeinsam zu tanzen, steckten viele Anwesende ihre Smartphones in die Taschen – und ließen für einen Moment Teheran einfach Teheran sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.