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Auch Hitler haust im grünen Tann

Kritisch spürt die Kunsthalle Emden der Geheimniskrämerei um das Leben der Bäume nach:Die Ausstellung „Mythos Wald. Das Flüstern der Blätter“ zeigt 75 Arbeiten von 40 Künst­le­r*in­nen

Von Jens Fischer

Ehrfurcht gebietende Bäume, krauterig-anarchisch den Durchblick verhindernde Sträucher, eine Vielfalt an flatterndem und herumschleichendem Getier. Ach, der Wald, einst undurchdringliche Wildnis, Inbegriff der unberührten Natur, ist heute eine kulturell und emotional stark in uns verwurzelte, domestizierte Oase in Grünbraun: In Emden, also dort, wo Deutschland am waldlosesten ist, ist dem bedeutungsgeschwängerten Ökosystem eine Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet. „Mythos Wald“ lautet ihr Titel, und weiter: „Das Flüstern der Blätter.“

Sauerstoffspender und Lieferant für Nahrungs-, Bau-, Heizmaterial, aber auch respekteinflößend unüberschaubar und irgendwie gefährlich, so ist der Wald. Lauern im Unterholz doch geheimnisvolle Fabelwesen, fiese Wildschweine, noch fiesere Dämonen und für ihren Krimiauftritt trainierende Mörder. Wohliges Gruseln! Damit spielt Ori Gershts Video-Arbeit „The Forest“ (2005). Auf riesiger Leinwand schwenkt die Kamera durch eines dieser wild wuchernden Ökotope. Licht durchfließt malerisch die Szenerie, auf der Tonspur ist sanftes Bätterrauschen zu hören, Vögel piepen ab und an. Erschreckend, wenn in dieser Idylle plötzlich leises Knarzen zu hören ist, sich ein Baum quer durchs Bild senkt und donnernd zu Boden fällt. Gefolgt von zwei weiteren Exemplaren. Wie Hinrichtungen wirken diese Fällungen.

Sie bilden den Soundtrack der Ausstellung. Durch jeden Raum schallt der Lärm der Waldzerstörung und hält so Themen wie Wald- und Artensterben sowie Klimawandel im Bewusstsein wach. Ergänzt wird die Videoarbeit durch einen Baumgerippe-Holzschnitt von Karl Schmidt-Rotluff. Mit 75 Werken von rund 40 Künst­le­r:in­nen soll der Wald in seiner Ver- wie Entehrung durch den Menschen sichtbar werden. Gerade in Ostfriesland ist das virulent, denn ausgedehnte Waldgebiete kennt man dort nur noch vom Hörensagen, während in Deutschland immer noch etwa ein Drittel der Fläche bewaldet ist.

Einen Saal weiter sind Daniel Cramers magische „Woodland“-Fotos (2002-2007) zu sehen. Urgewaltige Märchenurwälder hat er mit fein ziseliertem Sonneneinfall als düster lockende Orte inszeniert, teilweise wie botanische Vulven. Mit kraftvollem Pinselduktus sowie der Strahlkraft einer leuchtenden Farbpalette kommt der pastos-expressionistische „Waldweg“ (1911) von Christian Rohlfs daher. Robert Longo zeigt als fotorealistische Kohlezeichnung einen Sonnenaufgang in waldiger Landschaft.

Die von Kunsthallen-Direktorin Lisa Felicitas Mattheis kuratierte Ausstellung bezieht den Wald reizvoll ambivalent auf den Menschen als Sehnsuchts-, Flucht-, Ruhe- und Rückzugsort. Auch als verklärter Heimatersatz, fürs Gefühl des Aufgehobenseins, funktioniert er und als Erinnerungslandschaft für die Naturgründe des Daseins. So wird er zum bedrohlichen Angstraum existenzieller Gefährdungen sowie zum Mahnmal der globalen Umweltfrevel. Im schmuddeligen Wasser eines Aquariums veralgen daher abgestorbene Bonsai-Bäume wie eine untergegangene Kultur – in Mariele Neudeckers Werk „I don’t know how I resisted the urge to run“ (1998). Martialisch wirkt der Wald in David Schnells „Echo“ (2012): Ein Arrangement metallisch anmutender Stäbe ähnelt einer marschierenden Armee – gemahnt in seiner brachialen Dichte und rigiden Ordnung aber auch an Monokulturen der Holzindustrie. Radikal deutlich wird das kritische Konzept der Schau in einem Raum, der großformatige Fotos gnadenlos kahlgeschorener Berghänge mit Schmerzensskulpturen ineinander verknoteter Baumschutzbügel konfrontiert. Und wieder im Gegensatz dazu ist ein Raum dem Einswerden mit dem Wald gewidmet. Da wird in einem Video einfach mal Tango über den Waldboden getanzt und das Plakatmotiv der Ausstellung gezeigt: In Anna Gaskells „Short Story of Happenstance“ (2003) versucht ein Unschuldskind mit verbundenen Augen den Wald zu ertasten, zu erspüren, sich hineinzufühlen.

Nur im Katalog groß aufgemacht wird leider die kunstgeschichtliche Entwicklung der Waldmalerei hin zu den ironischen Repliken auf die romantischen Beispiele der vorvorletzten Jahrhundertwende, all die spirituell aufgeladenen Träumereien einer ersehnt entrückten, heilen Welt. Der Sammlungsschwerpunkt der Kunsthalle ist auch Ausstellungsschwerpunkt, also die klassische Moderne und einige Folgen für die Kunst im 21. Jahrhundert.

So bezieht sich Andreas Mühe direkt auf Caspar David Friedrich, zeigt mondhell illuminierte Bäume an Klippen zum Meer – und lässt in diesem Paradies einen menschlichen Störenfried nackt urinieren. Ebenso beschäftigt ist ein Nazi-Winzling in Mühes überquellendem Waldarrangement „Hitlerjung“ (2011). Die Aufnahme entstand mit Statistenhilfe an Hitlers Obersalzberg und verweist auf die idealisierende Inanspruchnahme und den ideologischen Missbrauch des Waldes in der NS-Symbolik.

Form- und farbschön schweben Asche- und Flammenwolken durchs Bild, nach 20 Minuten ist die Apokalypse vorüber, es sprießt wieder das Grün, es rauschen erneut die Blätter

Passend dazu auch Jörg Immendorfs Farblithografie „Wartebiene“ (1992): Der Künstler selbst versucht darauf, den dunkeldeutschen, in Schwarz-Rot-Gold gestalteten Gruseldschungel mit einer Kerze, Symbol des Lebens, zu erleuchten.

Die Schau verliert allerdings immer wieder ihren Fokus. Der Baumkillerlärm bleibt zwar stets im Ohr, aber recht wahllos wirkt manchmal das Arrangement von Werken, die nur irgendwie mit Ästen, Borke und Blättern zu tun haben. Dann stehen Bäume einfach nur hübsch in impressionistischen Zeichnungen herum oder traurig auf einer Wiese in Worpswede. Sven Drühl entwickelt mit schwarzem Lack auf hellerem Grund ein ornamentales Muster aus Geäst. Holzmaserung kommt als Offset-Druck daher, ein Stamm als Bronzeguss oder als Skulptur fürs Designer-Wohnzimmer. Hoffnung spenden soll das Werk, mit dem die Be­su­che­r:in­nen zurück in die Emder Wirklichkeit entlassen werden. Hilfe, der Wald brennt in der 3-D-animierten „Meditation on wildfire“ (2020) des Videokünstlers David Claerbout.

Form- und farbschön schweben Asche- und Flammenwolken durchs Bild, nach 20 Minuten ist die Apokalypse vorüber, es sprießt wieder das Grün, es rauschen erneut die Blätter, es zwitschern die Vögel. Auf die Selbstheilungskräfte des Waldes wäre zu vertrauen? Der Kreislauf der Natur wird die destruktiven Menschengeister schon vertreiben? Wirklich?

„Mythos Wald. Das Flüstern der Blätter“: bis 31. 10., Kunsthalle Emden

Katalog herausgegeben von Lisa Felicitas Mattheis. Wienand Verlag 2022, 176 S., 29,90 Euro (im Museum 24,90 Euro)

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