: Solidarisches Wirtschaften wider die Gig-Economy
Plattformgenossenschaften können gegenwärtige ausbeuterische Formen des Wirtschaftens ersetzen. Dafür brauchen sie politische Unterstützung
Von Paul Jerchel
Spätestens in der Pandemie wurden Phänomene der Gig- Economy um Uber, Deliveroo, Lime & Co für Großstadtmenschen offensichtlich: Bequemlichkeit und eigene Erschöpfung machen es attraktiv, Alltagsaufgaben an Nächstbeste abzusondern – ohne Vorlauf und kalkulierbaren Aufwand, spontan und uninteressiert am Prozess. Es bleiben kurze Lieferzeiten und schmale Löhne für minimale Margen und ein neues Dienstleistungsprekariat junger, oft migrantischer Menschen.
Auch die „Clickworker“ der Internet-Plattformen setzen sich traumatisierenden Inhalten im Netz aus, an Nicht-Orten, sodass die Öffentlichkeit die sozialen Folgen der technologischen Innovation gut ignorieren kann.
Dabei sind die Prinzipien der Plattformen, die unseren Alltag und unsere Meinungen bestimmen, mitnichten neu. Zu dieser Diagnose kamen Trebor Scholz und andere schon in dem Buch Ours to Hack and to Own aus dem Jahr 2017.
Empfehlungsalgorithmen und Bilderkennung bringen primär Vorteile für das finanzielle Wachstum der Plattformen. Alternativen fristen ein Nischendasein. Mittlerweile prangt hinter manchem Twitter-Handle der Verweis auf Mastodon. Was fehlt, ist der Aufbruch, der dazu führt, dass Menschen solche dezentrale Alternativen nutzen und durch andere Eigentumsstrukturen grundlegend finanzieren.
Das Netzwerk für Hochschulgruppen und Nachbarschaftsinitiativen WeChange hat den Schritt zur sogenannten Plattformgenossenschaft bereits geschafft. Mit unter dreißig Personen betreibt es ein soziales Netzwerk, das neben Chatfunktionen auch die Möglichkeit zur Arbeit in Projektgruppen, Tauschbörsen, gemeinsame Kalender und mehr bietet. SuperCoop, der genossenschaftliche Supermarkt in Berlin-Wedding mit Vorbildern in Frankreich und den USA, möchte regionale und klimafreundliche Produkte durch solidarische Preiskonzepte in einkommensschwache Kieze bringen. Termingut liefert das Fahrwerk Kurierkollektiv – nach außen eine GmbH, nach innen mit Plenum und jeder Menge Diskussionen.
Die Formen neuer, solidarischer Formen des digitalen Wirtschaftens sind vielfältig – was fehlt, ist öffentliche Unterstützung. Khora bzw. Kolyma2, die genossenschaftliche Alternative zu Lieferdienst-Oligopolen, stellte am Montag den Betrieb ein.
Carsharing-Genossenschaften wie StattAuto und Mischformen wie Cambio sind seltene Ausnahmen und haben eingeschränkte Einzugsgebiete. Dabei könnten sie in wenig wirtschaftlichen Randbezirken Carsharing gerade dort fördern, wo es ökologisch Sinn ergibt, weil öffentliche Verkehrsmittel nicht rund um die Uhr präsent sind. Wenn man jedem Haushalt geteilten Zugang zu einem Kleinwagen, Umweltticket und Lastenrad geben würde, wäre die Welt eine bessere.
Woran liegt es, dass Genossenschaften keine Aufmerksamkeit relevanter Parteien genießen? Genossenschaften waren im Wahlprogramm der SPD fast unsichtbar. Eine Antwort ist möglicherweise die Hoffnung auf den Status quo. Konsequentes Handeln im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation lässt sich immer wieder mit den gleichen Scheinargumenten aushebeln. Das Festhalten an etablierten Unternehmensformen und prekärer Beschäftigung macht für Mitte-links-Politik in Deutschland lediglich gelegentliche Reförmchen notwendig. Dass die Frage nach sozialer Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert anders gestellt werden muss, scheint auch in der Führungsspitze der Sozialdemokratie noch nicht angekommen zu sein.
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