piwik no script img

Die ungenutzte Ressource

Geothermie ist theoretisch üppig vorhanden. Sie zu nutzen ist trotzdemoft knifflig. Vor allem, wenn man mit der Erdwärme Strom erzeugen möchte

Von Bernward Janzing

In der Theorie klingt es immer fantastisch. 99 Prozent der Masse unseres Planeten sind heißer als 1.000 Grad Celsius. Und vom restlichen Prozent sind wiederum 99 Prozent heißer als 100 Grad. So gesehen dürfte auf Erden an Wärme kein Mangel herrschen. Diese Wärme zu erschließen ist jedoch an den meisten Orten der Erde nicht leicht.

Im württembergischen Bad Urach versuchte man sich schon nach der Ölkrise 1973 am Bau eines Geothermiekraftwerks, gab dann aber nach Jahrzehnten und vielen verbohrten Millionen von D-Mark und Euro frustriert auf. In Basel wurde ein euphorisch gestartetes Kraftwerk 2007 nach unerwartet starken Erdbeben, die Millionenschäden verursachten, abrupt beendet. In Straßburg stoppte man im Dezember 2020 ebenfalls aufgrund von Erdbeben das dort in Bau befindliche Erdwärmekraftwerk.

Eine Zeit lang war man in Deutschland sehr euphorisch gewesen, was die geothermische Stromerzeugung betrifft. Die Goldgräberstimmung nahm ihren Anfang im Herbst 2004, als die Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) novelliert hatte. Denn das Gesetz garantierte nun je nach Leistung der Kraftwerke eine Einspeisevergütung von bis zu 15 Cent je Kilowattstunde. Die Akteure glaubten – welch Fehleinschätzung –, damit lasse sich komfortabel arbeiten.

Selbst aus Island, dem Land der Geothermie, streckten Unternehmer ihre Fühler nach Deutschland aus. Speziell am Oberrhein zwischen Basel und der südlichen Pfalz wurden im Monatsrhythmus neue Projektpläne publik. Unternehmen deckten sich mit bergrechtlichen Bohrgenehmigungen ein und stecken ihre Areale ab, während zugleich Windkraftgegner lauthals die Chancen der Geothermie als landschaftsfreundliche Alternative propagierten.

Noch im Jahr 2009 war die Branche von großem Optimismus geprägt: „Bis 2020 steigt die installierte Leistung auf über 600 Megawatt und die Stromerzeugung auf knapp 4 Milliarden Kilowattstunden“, schrieb seinerzeit der Bundesverband Erneuerbare Energie. „Haupttreiber dieser Entwicklung“, so die Einschätzung damals, seien die mit dem EEG von 2009 abermals „erheblich verbesserten Rahmenbedingungen“. Denn nun gab es sogar rund 25 Cent je Kilowattstunde.

Trotzdem kam die Geothermie kaum voran. Während in den 2000er und 2010er Jahren die Photovoltaik immer billiger wurde und damit selbst die optimistischsten Prognosen immer wieder übertraf und die Windkraft erfolgreich den Schritt hinaus aufs Meer ging, erwiesen sich die errechneten Potenziale der Stromerzeugung aus Geothermie zunehmend als Fiktion.

Noch immer wird der Anteil der Erdwärme am deutschen Strommix in den Statistiken mit 0,0 Prozent ausgewiesen – die Strommengen tauchen erst in der zweiten Nachkommastelle auf. Lediglich 0,2 Milliarden Kilowattstunden Geothermie-Strom wurden im Jahr 2020 in Deutschland erzeugt – ein Zwanzigstel dessen, was die Branche elf Jahre zuvor prognostiziert hatte. Damit ist die Geothermie der einzige Sektor der Erneuerbaren, der stets weit unter seinen Prognosen blieb.

Gerade mal 12 Kraftwerke mit einer elektrischen Leistung von zusammen 44 Megawatt sind heute bundesweit in Betrieb. Die meisten davon befinden sich in Bayern, wo das zwischen der Donau und den Alpen gelegene Molassebecken weniger geologische Probleme bereitet als andere Regionen. Speziell der anfangs als besonders attraktiv eingeschätzte Oberrheingraben bereitete immer wieder Probleme. Das einzige Kraftwerk in Baden-Württemberg, das jemals fertig wurde – es steht in Bruchsal –, erzeugte in manchen Jahren überhaupt keinen Strom. Auch andere Anlagen fielen schon für mehrere Jahre komplett aus.

Die Herausforderung der Technik ist die Geologie, die jedes Projekt zu einem Unikat macht. Das fängt schon an der Wasserführung im Untergrund an. Ist Dampf oder Heißwasser in der Tiefe vorhanden, muss man nur die entsprechende Schicht anzapfen. Dann kann der Dampf eine Turbine treiben, diese einen Generator. Die Restwärme wird idealerweise noch zur Gebäudeheizung genutzt, das abgekühlte Wasser am Ende wieder in einer zweiten Bohrung verpresst. Das nennt man dann hydrothermale Geothermie; die einfachere Variante.

Besteht der Untergrund hingegen aus heißem Gestein, das kaum Wasser enthält, nutzt man die Wärme mit dem Prinzip des Durchlauf­erhitzers. Man pumpt kaltes Wasser in die Tiefe, das dann durch Risse und Spalten oder Poren des Gesteins gedrückt wird, sich dabei auf 100 bis 180 Grad erhitzt und sodann durch eine zweite Bohrung wieder zutage befördert wird. Um eine ausreichende Durchlässigkeit des Gesteins zu schaffen, muss dieses zuvor aufgebrochen werden. Es wird stimuliert, sagen die Geotechniker, eine Art Fracking. Das Prinzip trägt den Namen Hot-Dry-Rock, HDR. Diese Art von Projekten, zu denen auch Basel und Straßburg gehörten, endeten bisher in der Regel im Fiasko.

Etwas besser als mit der Stromerzeugung lief es in den letzten Jahren mit der Wärme. Denn während man für die Stromerzeugung für einigermaßen vertretbare Erträge deutlich mehr als 100 Grad Celsius braucht, idealerweise mindestens 150 Grad, kommt man bei reinen Wärmeprojekten mit deutlich weniger aus. Geringere Temperaturen bedeuten geringere Bohrtiefen und damit geringere Bohrrisiken. Für die Stromerzeugung wurden einst Tiefen zwischen 4.000 und 7.000 Metern angedacht. Für die reine Wärmenutzung reichen oft 2.000 bis 3.000 Meter. In Deutschland gibt es daher auch deutlich mehr Heizwerke als Kraftwerke, nämlich 30 Anlagen, die überwiegend in Bayern stehen. Im Jahr 2020 wagte auch Baden-Württemberg – trotz seiner traumatischen Erfahrungen am Oberrhein – einen neuen Anlauf. Geothermie sei ein „wichtiger Eckpfeiler für Energiewende und Klimaschutz“, ließ das Stuttgarter Umweltministerium wissen.

Die Geothermie ist der einzige Sektor der erneuerbaren Energien, der bis heute weit unter seinen Prognosen geblieben ist

Allerdings weicht die neue Strategie des Landes gänzlich von jenem Weg ab, den die Energiewirtschaft 15 Jahre zuvor schon einmal eingeschlagen hatte. Denn nun geht es auch in Baden-Württemberg primär um die Wärme; die Stromerzeugung aus Geothermie spielt in den Planungen kaum mehr eine Rolle. Allzu offen kommuniziert die Landesregierung das nicht. Auch das Landesforschungszentrum Geothermie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) lässt es eher verklausuliert durchblicken: Man wolle nun „die bisherige Fokussierung auf den Stromsektor bei der tiefen Geothermie um den Wärmesektor ergänzen“.

Unternehmen von damals sind nun auch wieder dabei. Im November 2020 informierte zum Beispiel die Freiburger Badenova darüber, in einem 320 Quadratkilometer großen Areal, das 19 Kommunen umfasst, erneut Potenziale zu untersuchen. Anfang des Jahres erfolgten Messungen mittels 3D-Seismik. Auch die Aero-Magnetik mittels Helikopterbefliegung kam schon zum Einsatz. Dabei werden Parameter des Erdmagnetfeldes durch Überfliegen der Erdoberfläche erfasst, indem der Hubschrauber ein Magnetometer – einen Sensor zur Magnetfeldmessung – wie ein Pendel nach sich zieht. Die Daten geben Auskunft über die Beschaffenheit des Untergrunds.

Am Ende bleiben gleichwohl zwei Risiken bestehen. Zum einen die ökonomischen: Selbst beste Erkundungsverfahren können nur bedingt Aufschluss über die realen Verhältnisse in mehreren tausend Meter Tiefe geben. Doch während bei der Suche nach Öl und Gas eine einzige erfolgreiche Bohrung so lukrativ sein kann, dass sie viele Fehlbohrungen kompensiert, ist das bei der Geothermie nicht der Fall. Wer hier anfängt, ist zum Erfolg verdammt. Um das betriebswirtschaftliche Risiko der Akteure zu mindern, hat die Bundesregierung die „Prüfung einer Fündigkeitsrisikoversicherung“ in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt – aber bislang noch nicht umgesetzt.

Das zweite Projektrisiko ist nach dem verspielten Vertrauen der letzten zwei Jahrzehnte die Akzeptanz bei Investoren und den beteiligten Kommunen. Denn auch solche Projekte, die tatsächlich in Betrieb gingen, brachten zum Teil später noch Komplikationen. Im pfälzischen Landau etwa löste das im Jahr 2007 in Betrieb genommene Erdwärmekraftwerk später leichte Erdbeben aus. Seither darf die Anlage nur noch mit reduzierter Leistung betrieben werden.

Ob nun weitere Forschung die Chancen der Geothermie in Deutschland verbessern kann? In diesen Tagen teilten das KIT, das Deutsche GeoForschungsZentrum und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung mit, im Kristallingestein von Schwarzwald oder Odenwald das „welterste Untertage-Forschungslabor für Tiefengeothermie“ einrichten zu wollen. In diesem werde man „kontrollierte Hochfluss-Experimente, also Strömungsversuche im Gestein“ vornehmen. Die Helmholtz-Gemeinschaft fördert das Projekt mit 35 Millionen Euro – ein neuerlicher Versuch, doch noch an die enormen Wärmemengen in der Tiefe zu gelangen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen