Höcke geht aufs Ganze

Nach dem AfD-Parteitag in Riesa zeichnet sich ab, dass Höcke in zwei Jahren nach der Macht greift. Er ist schon jetzt die mächtigste Person in der extrem rechten Partei

Mit der geplanten Strukturkommission hätte Höcke noch mehr Strukturen zu seinen Gunsten schaffen können Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Gareth Joswig

Was viele bereits vermutet haben, scheint zu stimmen: Es gab vor dem Parteitag in Riesa der extrem rechten AfD offenbar einen Deal zwischen Parteiführung und dem Thüringer AfD-Chef und Rechtsextremisten Björn Höcke. Höcke sollte von einer Kandidatur für den Bundesvorstand absehen und dafür der Leiter einer Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform werden. Das legen mittlerweile auch interne Chats nahe,von denen derMDR beric htet. Dort schreibt der Höcke-Vertraute und AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider laut MDR: „Björn Höcke wurde die Strategiekommission versprochen, für den Fall, dass er nicht für den BuVo kandidiert.“

Bekommen hat Höcke den Posten beim Parteitag vergangenes Wochenende allerdings nicht, weil der nach einem heftigen Streit im Chaos unterging und vorzeitig abgebrochen wurde. Mit der Kommission wollte Höcke die Partei nach seinem Gusto umbauen und möglicherweise auch seine komplette Machtübernahme vorbereiten. Aufgaben der Strukturkommission sollten eine bessere strategische Ausrichtung des Bundesvorstands sein, eine bessere Einbindung der Basis sowie Strukturierung der Kaderbildung. Weil Höcke die Kommission aber nun doch nicht bekommen hat, geht der Streit in der AfD weiter. Tillschneider warf in einem Podcast des rechtsextremen Institut für Staatspolitik dem neuen Vorstand sogar vor, „Krieg gegen die eigene Partei“ zu führen.

Der offengelegte Deal zeigt: Der völkisch-radikale Flügel der AfD gibt sich nach dem Rechtsruck auf dem Bundesparteitag in Riesa nicht mit dem ausgebauten Einfluss im Bundesvorstand zufrieden. Höcke wird weiter kontinuierlich daran arbeiten, seine Macht auszubauen. Dass letztlich Höcke sich dazu berufen fühlt, die Partei ebenso wie den Thüringer Landesverband zu führen, ist ein offenes Geheimnis. Das heißt: Abweichungen vom Flügel-Kurs werden nicht akzeptiert, er ist der unumstrittene Anführer.

Obwohl Höcke seine Kommission nicht bekommen hat, wurde sein Führungsanspruch auf dem Parteitag in Riesa so deutlich wie selten. Etwa als er sich dafür aussprach, dass die Partei langfristig von einer Einzelspitze geführt werden sollte, dafür aber gegenwärtig noch nicht bereit sei. Und der Parteitag folgte seinen Worten für eine Satzungsänderung: „Dann wählen wir dieses Mal eine Zweierspitze und beim nächsten Mal eine Einerspitze.“

Das bedeutete im Klartext: Höcke wusste, dass er auf diesem Parteitag noch keine Mehrheit als alleiniger Chef der Partei gehabt hätte, auch weil Höcke als Chef für viele Mitglieder eine rote Linie ist. So lange braucht Höcke möglichst opportunistische Platzhalter. Das sind für ihn die zu den neuen Bun­des­spre­che­r*in­nen gewählten Tino Chrupalla und Alice Weidel. Der eine ist nicht gerade als durchsetzungsstark bekannt, die andere in der AfD für Faulheit und Wegducken berüchtigt. Es stimmt, dass die Ära Meuthen nach der Abwahl von dessen Bundesvorstand nun endgültig vorbei ist, wie Chrupalla nach seinem nur hauchdünnem Wahlsieg erfreut sagte.

Ebenso ist jedoch richtig, dass die Ära Chrupalla nur eine Übergangslösung von Höckes Gnaden ist. Der völkische Revisionist hat Chrupalla und Weidel Mehrheiten gesichert und Einfluss auf die Liste genommen: Der neue Bundesvorstand ist völkisch dominiert, die Reste des Meuthen-Lagers haben in der AfD nix mehr zu melden.

Der Verlauf des Parteitags zeigte, dass die mächtigste Person in der AfD nun Höcke ist. Sein Lager war so übermütig, dass es gleich mehrfach wortbrüchig wurde – und bei den Kampfabstimmungen zumeist die Oberhand hatte. So brachten die Völkisch-Radikalen die vorab vereinbarte Liste aus dem Gleichgewicht: Ohne sich abzusprechen, schickte das Lager etwa mit Christina Baum und Harald Weyel gleich zwei Unberechenbare in den Vorstand, die bei Bedarf für Zoff im Vorstand sorgen können.Baum ist unkontrollierbar, vertritt offen revisionistische Positionen, die ­Höcke sich derzeit nicht auszusprechen traut. Und wie auch Weyel gilt sie als stramme Unterstützerin von ­Höcke. Baum steht wie keine andere für den Rechtsruck in der AfD.

Aber Höcke machte auch in den inhaltlichen Debatten auf dem Parteitag klar, wer seiner Ansicht nach künftig der Spiritus Rector der Partei ist. Er demontierte den neu gewählten Vorstand, kaum das der im Amt war.

Und hatte Chrupalla in den Wochen zuvor noch von Disziplinierung und einem Ende des öffentlichen Streits versprochen – brach Höcke sofort den nächsten Streit vom Zaun und versuchte, besagte umstrittene russlandfreundliche vermeintliche Europa-Resolution durchzudrücken. Das fünfseitige Papier fordert mit verschwörungsideologischer Sprache und antisemitischen Anklängen die Selbst­auf­lö­sung der EU. Als sich die frisch gewählten Weidel und Chrupalla dafür aussprechen, das Papier noch einmal zu überarbeiten, kam es zum Eklat durch die Völkischen, die eine sofortige Abstimmung erzwingen wollten und dabei den neuen Vorstand grillten, der mit entgleisten Gesichtszügen vorne auf der Tribüne saß.

Die AfD öffnet sich nun auch für militante Rechtsextreme

Chrupalla und Weidel sind, kaum im Amt, bereits maximal beschädigt. Ein Mitglied warf den Völkischen die „Demontage“ des frisch gewählten Vorstands vor, Flügel-Vertreter wiederum warfen dem Vorstand „Merkel-Verhältnisse“ vor, nachdem dieser eine sofortige Abstimmung mit Geschäftsordnungsanträgen erfolgreich unterbunden hatte.

Davor hatte Höcke die Partei bereits für eine rechtsextreme Organisation geöffnet und sich dafür eingesetzt, die Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ von der Unvereinbarkeitsliste zu streichen. Dessen Gründer hat Verbindungen in die militante Neonazi-Szene von NPD über den III. Weg bis hin zu „Blood and Honour“. Die Widerrede der neu gewählten Vorstände Marc Jongen und Roman Reusch verpuffte. Letzterer nannte die Legalisierung von „Zentrum Automobil“ mit Blick auf den Verfassungsschutz und wohl auch die anstehenden Niedersachsenwahlen „Harakiri“ und „Selbstmord“. ­Höcke setzte sich trotzdem durch.

Seine Rede dazu war ein verbalisierter Mittelfinger in RichtungsVerfassungsschutz: „Deswegen bestimmen wir qua unserer eigenen Kraft, unseres eigenen Selbstbewusstseins, unseres eigenen Willens, wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen.“ Politische Hegemonie fuße auf kultureller Hegemonie. Die erreiche man nicht über den parlamentarischen Weg, sondern durch eine Stärkung des Vorfeldes. Kurzum: Die AfD öffnet sich nun auch für militante Rechtsextreme. Applaus gab es dann auch nicht zufällig aus Schnellroda: Der „neurechte“ und Höcke-nahe Rechtsextreme Götz Kubitschek sprach vom „besten Vorstand, den die AfD jemals hatte..

Ob Höcke die Machtübernahme in zwei Jahren allerdings gelingt, ist noch offen. Denn eines hat sich auch gezeigt: In Summe hatten die Völkisch-Radikalen auf dem Parteitag den Bogen überspannt. Nachdem der komplette Durchmarsch mit der EU-Resolution noch um ein Haar vermieden werden konnte, zog eine knappe Mehrheit die Reißleine und brach den Parteitag vorzeitig ab – und Höcke musste auf seine Kommission verzichten.