SPD-Vorstoß zu Lehrkräftemangel: Weniger Pflicht, mehr Kür

Die Schulen könnten Pflichtstunden etwa in Naturwissenschaft einsparen, fordert ein Antrag für den Parteitag. So will man dem Lehrermangel begegnen.

Bücher sind gut, aber wer bringt den Kindern bei, was drin steht? Rund 1.000 Lehrkräfte fehlen Berlin Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

BERLIN taz | In der Diskussion um Stundenplankürzungen wegen des Lehrermangels an den Berliner Schulen gehen jetzt Bil­dungs­po­li­ti­ke­r*in­nen der SPD mit einem neuen Vorschlag nach vorne. Auf dem Landesparteitag am Sonntag soll ein Antrag eingebracht werden, der die aktuell fixe Zahl von Pflichtstunden für zum Beispiel Naturwisschenschaften oder Fremdsprachen zugunsten eines flexiblen Stundenkontingents an den Schulen abschafft.

Konkret könnten die Schulen dann etwa in den Jahrgangsstufen 9 und 10 jeweils zwei Stunden Naturwissenschaften pro Woche weniger unterrichten, so ein modellhafter Vorschlag der SPD-Politiker*innen. So könnten die Schulen, trotz des dramatischen Lehrermangels, anderes weiter aufrecht erhalten – etwa Förderunterricht.

Wo genau Stunden genommen werden, müsse mit den Rahmenvorgaben der Kultusministerkonferenz abgestimmt werden, betont Marcel Hopp, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, der den Antrag mit einbringt. Andere Bundesländer hätten bereits solche flexiblen Lösungen.

Entlasten würde das vor allem die Schulen, deren Schü­le­r*in­nen dringend auf Förderstunden angewiesen sind – also sogenannte Brennpunktschulen.

„Insgesamt würde dadurch pro Schule im Schnitt eine Vollzeitstelle weniger benötigt als derzeit“, sagt Hopp. Bei rund 900 allgemeinbildenden Schulen in Berlin, rechnet Hopp vor, sei das durchaus eine relevante Größenordnung.

Tatsächlich wäre das in etwa die Zahl an Lehrkräften, die zum neuen Schuljahr fehlt: Knapp 1.000 Lehrer*innen-Stellen werden nicht besetzt werden können, hatte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) gesagt. Busses erklärte Strategie gegen das bisherige Allzeithoch beim Päd­ago­g*in­nen­man­gel ist eine Kürzung bei den Förderstunden. Die Pflichtstunden hingegen will sie nicht anfassen: Man werde sich „angesichts der Personalsituation auf die Sicherung der Stundentafel fokussieren“, hieß es.

Diese Ansage wird seitdem zunehmend lauter in Frage gestellt: Auch Grünen- und Linken-Politiker*innen aus der Koalition finden, das sei viel zu eng gedacht. Hopp sagt: „Damit schwächen wir die inklusive Schule, und das ist eigentlich genau die gegenteilige Linie von Bildungspolitik, die wir in der SPD bisher immer verfolgt haben.“

In einem „Strategiepapier Lehrkräftebedarf“, das die Grünen am Donnerstagnachmittag veröffentlichten, spricht sich die Fraktion erneut gegen eine pauschale Kürzung bei den Förderstunden aus: „Förderstunden sind essenziell für die Schüler*innen, die Unterstützung am meisten benötigen“, heißt es in dem Papier. Die Grünen wollen, wie auch der Landeselternauschuss, einen „Runden Tisch Lehrkräfteversorgung“ und wollen die Krise auch „als Chance für die pädagogische Weiterentwicklung von Schule“ verstanden wissen.

Ob der Spontan-Antrag am Sonntag Chancen hat, wird sich zeigen – die drastischen Zahlen beim Lehrermangel dürften aber einige Ge­nos­s*in­nen zumindest aufmerksam zuhören lassen. Die Unterzeichnenden des Antrags haben jeweils durchaus Gewicht: Neben Hopp hat seine Vorgängerin im Amt, Maja Lasić, unterschrieben, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Abgeordnetenhaus inzwischen selbst an einer Brennpunktschule im Wedding als Quereinsteigerin unterrichtet.

Rückzieher bei Verbeamtung

Einen Rückzieher macht man bei der Frage, wie künftig die Lehrkräfte zu entschädigen sind, die nicht verbeamtet werden können. Rot-Grün-Rot hat eine schrittweise Rückkehr zur Lehrerverbeamtung in Berlin beschlossen. Bisher fordert ein Antrag der AG Bildung der SPD, die nach Gewerkschaftsangaben geschätzt rund 7.000 Lehrkräfte, die zu alt oder zu krank für die Verbeamtung sind, mit Entlastungsstunden zu „entlohnen“. Das ist auch im Koalitionsvertrag eigentlich so festgehalten. Ta­rif­ex­per­t*in­nen halten das aber für juristisch nicht umsetzbar.

Weil Entlastungsstunden zudem wieder mehr Personalbedarf bedeuten würden, rückt man jetzt in der SPD davon ab: Eine finanzielle Entschädigung könne ebenfalls „eine vorübergehende Lösung darstellen“, heißt es jetzt in einem Änderungsantrag. Hopp sagt: „Wir erkennen da die realpolitischen Spielräume an.“

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