Treibstoff-Engpässe im Ukraine-Krieg: Begehrte Liter

Benzin ist schwer erhältlich. Das ist für Zivilisten schon lästig. Für Armee und kritische Infrastruktur aber ist es hochproblematisch.

Zwei Männer schieben ein Auto an

Angesichts des Mangels an Benzin bleibt manchmal nur noch das Schieben Foto: Oleg Petrasyuk/epa

In welchen Einheiten messen Sie Entfernungen? In Kilometern? In Stunden? Wir messen sie jetzt in Litern. Ich war einen Freund besuchen, außerhalb der Stadt, wir hatten uns lange nicht gesehen. Aber jetzt muss ich schnell zurück – gleich beginnt die ­Sperrstunde. Er möchte wissen, wohin ich fahren müsse – und rechnet nach, ob sein Benzin reicht. Nein, normalerweise würde er das nicht tun. Nur leider könnte das Benzin wirklich nicht reichen.

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Ja, Benzin muss man im Voraus besorgen. Tankstellen im ganzen Land verwandeln sich in eine Art „To-go“-Einrichtungen, wie die überall neu entstandenen Coffeeshops. Und um an Benzin zu kommen, muss man sich in lange Schlangen einreihen. Dass es dort überhaupt gerade welches gibt, erkennt man an den langen Warteschlangen. Darüber hinaus ist Benzin auch nicht überall frei verkäuflich. Die Menschen rufen schnell ihre Freunde und Verwandten an, wenn sie sehen, dass es welches gibt. Sie stellen sich füreinander an, haben die Websites von Tankstellen im Blick, abonnieren alle möglichen Telegram-Bots oder Blogs, die sich mit diesem Thema beschäftigen.

Vor einem Monat stand man Tage und Nächte für Benzin an. Während der Sperrstunden ließ man die Autos dort, ging schlafen und kam am Morgen wieder. Ab 5 Uhr stand man Schlange. Aber das ist nicht mal das Schlimmste. Wirklich blöd ist es für diejenigen, die nach langem Warten merken, dass das Benzin genau dann alle ist, wenn sie selber an der Reihe gewesen wären. Und solche Glückspilze gibt es.

Die Tankstellen sind gezwungen, Beschränkungen einzuführen. Zum Beispiel nicht mehr als 15, 20, 30, 40 Liter pro Person. Über die Qualität des Benzins macht man sich schon lange keine Gedanken mehr, Hauptsache, es gibt überhaupt welches. Über die Folgen, die das für das Auto hat, kann man später immer noch nachdenken. Gerade kostet Benzin 50 bis 55 Griwnja (umgerechnet etwa 1,75 Euro), aber es war auch schon mal doppelt so teuer.

In den Nachrichten sagen sie, dass das bald besser würde. Im Prinzip erzählen sie das aber schon länger. Gäbe es nicht die panischen Wünsche einiger Menschen, möglichst immer vollzutanken, wäre es vielleicht schon früher besser geworden. Sagt man zumindest. Durch den Krieg ist die Ukraine gezwungen, den Markt fast völlig umzustrukturieren. Früher kam Benzin vor allem aus Russland und Belarus. Mit Beginn der Importe aus Europa sind eine Reihe logistischer Probleme entstanden.

Die Nachfrage ist hoch, darauf war die Ukrai­ne nicht vorbereitet. Und die Ölraffinerie Krementschuk, die einen großen Teil des Benzinbedarfs decken konnte, wurde von Russland mit Raketen beschossen. Bis Jahresende wird sie ihre Produktion nicht wieder aufnehmen. Denn die Infrastruktur ist das Ziel Nummer 2 in diesem Krieg, gleich nach Wohngebieten. Daher muss die Ukraine den Krieg gewinnen, wenn es ihr global gesehen besser gehen soll.

Bei Benzin geht es nicht um Fahrten aufs Land, nicht um persönliche Bequemlichkeiten. Benzin wird von der Armee und von Freiwilligen gebraucht. Und von den Menschen, die in der kritischen Infrastruktur arbeiten. Soldaten sollten an Tankstellen Priorität haben. Aber damit man sie vorrangig behandelt, muss vorrangig erst mal Benzin da sein. Und genau mit solchen Überlegungen berechnen und überwachen Freiwillige die Benzinvorräte. Von diesen Litern hängen Menschenleben ab.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey.

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35 Jahre, Journalistin und Dokumentarfilmerin . Hatte Kyjiw vorübergehend Richtung Westukraine verlassen, lebt aktuell wieder in der ukrainischen Hauptstadt

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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