Nach Amokfahrt in Berlin: Wenn das Fahrzeug zur Waffe wird

Die Amokfahrt eines Mannes in Berlin sehen Ermittler als Tat eines psychisch Kranken. Das Tatmuster tritt nicht zum ersten Mal auf.

Blumen und Kerzen am Straßenrand

Breitscheidplatz Berlin: Blumen zum Gedenken an die Opfer der Amokfahrt Foto: Fabrizio Bensch/reuters

BERLIN taz | Am Donnerstag steht die Haupt- und Realschule im hessischen Bad Arolsen noch immer unter Schock. Ihre Internetseite hat sie vom Netz genommen, der Unterricht findet statt, aber die Schü­le­r:in­nen werden psychologisch betreut. Tags zuvor waren 24 Zehnt­kläss­le­r:in­nen in Berlin Opfer einer Amokfahrt geworden. Sieben von ihnen wurden schwer verletzt, sieben leicht. Ein Lehrer schwebte auch am Donnerstag noch in Lebensgefahr, seine 51-jährige Kollegin starb. Es war das schreckliche Ende einer Klassenreise.

Die hessische Landesregierung versicherte, dass sofort Notfallbetreuungsteams an die Schule geschickt wurden. Noch am Mittwoch waren ein Team der Schule und Eltern nach Berlin gereist. Die unverletzten Schü­le­r:in­nen wurden in ihrem Hotel psychologisch betreut, sie sollten am Donnerstag mit Bussen zurück nach Bad Arolsen gebracht werden. Die Politik bis hoch zu Olaf Scholz sicherte Unterstützung zu. Der Kanzler nannte die Tat einen „Albtraum“.

Mit einem Kleinwagen war ein 29-Jähriger am Mittwochvormittag in Berlin-Charlottenburg in die Schülergruppe gefahren und am Ende in eine Parfümerie. Als der Mann flüchtete, hielten ihn Passanten fest, bis die Polizei ihn festnahm. Insgesamt zählte die Polizei 31 Verletzte. All das geschah nahe des Breitscheidplatzes, was sofort Erinnerungen an den Anschlag eines Islamisten 2016 weckte, der dort mit einem Lkw zwölf Menschen getötet hatte.

„Amoktat eines psychisch Beeinträchtigten“

Diesmal blieben die Hintergründe zunächst unklar. Erst am Mittwochabend legte sich Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) fest: Es war „eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen“. Der Täter, der seit mehreren Jahren in der Hauptstadt lebte, war laut Berliner Staatsanwaltschaft wegen kleinerer Diebstähle polizeibekannt, die allerdings schon Jahre zurückliegen. 2014 erhielt er dafür eine Verwarnung vor Gericht. Politisch fiel der 29-Jährige bisher nicht auf.

Sebastian Büchner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, erklärte am Donnerstag, es gebe Hinweise auf eine paranoide Schizophrenie. Entsprechende Medikamente wurden gefunden, der Festgenommene habe seine Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Eine terroristische Tat oder ein Unfall könnten damit bisher ausgeschlossen werden, sagt Büchner. Zwei Plakaten, die sich im Tat­auto fanden, das der Schwester des Fahrers gehörte, und die einen Stopp des „Völkermords“ der Türkei forderten, werde kein Tatbezug zugerechnet.

Der Festgenommene wurde vorläufig in die Psychiatrie eingewiesen. Offiziell eingelassen zur Tat hat er sich bisher nicht. Auch Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erklärte, der Mann habe sich nach seiner Festnahme „wirr“ geäußert. Den Eindruck erweckte auch ein Augenzeugenvideo von der Festnahme, wo der 29-Jährige Umstehende scheinbar orientierungslos um Hilfe bittet.

Nicht die erste Amokfahrt mit einem PKW

Damit steht die Tat nicht in einer Reihe mit dem Breitscheidplatz-Anschlag, sondern mit früheren Amokfahrten in Trier, Münster oder Volkmarsen, bei denen es teils ebenso zu Todesopfern kam – es aber kein politisches Motiv gab.

Für die Kriminologin Britta Bannenberg, die zu Amoktaten forscht, folgt die Berliner Tat einem typischen Muster. „Die Forschung hat gezeigt, dass alle Amoktäter psychische Auffälligkeiten zeigen, von Persönlichkeitsstörungen bis zur Schizophrenie.“ Die Täter fühlten sich sozial abgelehnt, würden über die Zeit anderen gegenüber „Elemente der Feindseligkeit“ aufbauen, die sich dann in Gewalt entlade. Wenn dafür keine Schusswaffen zur Verfügung stünden, würde auch zu anderen Mitteln wie Autos zurückgegriffen, so Bannenberg. Auch „Inspirationen“ von anderen Tätern seien typisch, was im aktuellen Fall der Breitscheidplatz-Attentäter oder andere Amokfahrer gewesen sein könnten. Gleichzeitig betont Bannenberg: „Solche Amoktaten bleiben sehr selten. Nur sehr wenige psychisch Erkrankte werden gewalttätig.“

Auch bei den jüngsten Amokfahrten bleibt das Motiv teils bis heute unklar. In Münster hatte sich der Fahrer nach der Tat erschossen. Zum Trierer Fall läuft der Prozess, der 52-jährige Angeklagte schweigt zu seinen Motiven, ihm wird eine Psychose attestiert. Der 31-jährige Fahrer in Volkmarsen wurde im Dezember zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch er verweigerte eine Aussage, sein Motiv blieb ungeklärt. Eine Gutachterin attestierte auch ihm eine Persönlichkeitsstörung.

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