Die Diskussion ist eröffnet

Die Enteignungskommission hat nach viel Streit im Vorfeld ihre Arbeit aufgenommen. Die erste öffentliche Anhörung unterstreicht Berlins Enteignungsbedarf – nach dem gescheiterten Mietendeckel braucht es neue Instrumente

Zum Fürchten sind nicht die umgehenden Gespenster, sondern die hohen Mieten Foto: Christoph Soeder/dpa

Von Gareth Joswig

Rouzbeh Taheri von der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen brach es auf einfache Sprache herunter – nach vier Expertenvorträgen mit Immobilienfachvokabular, Zahlenwirrwarr und alternativen Deutungen zur Berliner Wohnungsnot. „Es ist ganz einfach: Wir wollen mehr Wohnungsbestände im Besitz des Landes, damit die soziale Wohnraumversorgung gewährleistet wird“, sagte der Sprecher der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen bei der ersten öffentlichen Anhörung der Enteignungskommission am Donnerstag.

Es gehe darum, ob man über das Grundbedürfnis Wohnen demokratisch bestimmen dürfte im Sinne von Artikel 15 des Grundgesetzes, wie es „fast 60 Prozent der Berliner“ im Volksentscheid zur Vergesellschaftung privater Wohnungskonzerne entschieden hätten, sagte Taheri. „Jeder Tag, an dem wir diskutieren, ob hier in Berlin nur Teile des Grundgesetzes gelten, bedeuten mehr Verdrängung.“ Man müsse die soziale Wohnraumversorgung ernst nehmen wie auch den Willen der Berliner Bevölkerung, sagte er. Am Ende seines 20-minütigen Impulsvortrags bei der Enteignungskommission, welche die Umsetzung des Volksbegehrens prüfen soll, überreichten Berliner Mie­te­r*in­nen eine zum einem Ringbuch gebundene Darstellung mit dem Titel „Wie Enteignung gelingt“.

Die Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD) bedankte sich für den Service und führte bestimmt durch die Anhörung, die in konzentrierter und freundlicher Atmosphäre stattfand – trotz des Streits im Vorfeld um den genauen Auftrag und Rahmen der Enteignungskommission. Allerdings sagte sie vor Beginn der Anhörung – klar auf den Krach bis hinein in den Senat gemünzt: „Der Senat erwartet nicht Politik von uns, sondern Antworten auf soziale, juristische und ökonomische Fragen.“ Hintergrund des Streits um den Einsetzungsauftrag der Kommission war, dass Däubler-Gmelin zuvor entgegen der Senatsverabredungen durchgesetzt hatte, dass das Gremium nicht immer öffentlich tagen würde und sie selbst ebenfalls ein zuvor nicht vereinbartes Stimmrecht erhalten würde – womit das Gleichgewicht in dem Gremium aus den Fugen geriet.

Ansonsten hielten sich die Ex­per­t*in­nen der Kommission zunächst zurück und folgten dem Ringen der Fachleute aus verschiedenen Bereichen um Deutungshoheit auf die Wohnungsnot in Berlin. Harald Simons vom wirtschaftsnahen Institut Empirica AG etwa erklärte anwesenden Mie­te­r*in­nen mit Zahlen von 2014 bis 2018, dass die Mietbelastungsquote aktuell sinke – verschwieg dabei allerdings Inflation und derzeitige starke Steigerungen der Lebenserhaltungskosten. Weitere Punkte Simons waren, dass die Bevölkerung Berlins nicht weiter wachse, es also eine Trendumkehr zu Urbanisierung gebe (wer soll auch in Berlin noch eine Wohnung finden?) und zudem der Neubau dazu führen würde, den Markt zu entspannen. Tenor: Alles halb so wild, Berlin sei doch immer noch billiger als München und die Mieten waren zudem 2005 noch auf Dorfniveau. Das Problem werde sich bei gleichbleibenden Neubau schon irgendwie von selbst erledigen, insinuierte Simons. Schließlich sei die Arbeitslosigkeit ja auch zurückgegangen.

Andrej Holm, einschlägig bekannter Forscher zu Stadtentwicklung von der HU und ehemaliger Staatssekretär-Kandidat der Linken kam zu einer deutlich anderen Einschätzung: „Berlin ist Meister aller Klassen, was Mietsteigerungen angeht.“ Und tatsächlich stiegen nirgendwo die Angebotsmieten so exorbitant wie in Berlin, wie er klarmachte. Daher ist es laut Holm naheliegend, dass die Stadtgesellschaft nach dem gescheiterten Mietendeckel auf der Suche nach neuen Instrumenten sei.

Holm führte danach aus, dass es keineswegs nur um Angebot und Nachfrage gehe, sondern Mietsteigerungen auch trotz gestiegener Neubauzahlen anhielten. Es brauche daneben Regulationsmaßnahmen, um eine soziale Wohnraumversorgung zu gewährleisten. Bereits jetzt überschritten 48 Prozent von Berlins Mie­te­r*in­nen die Leistbarkeitsgrenze von einem Drittel des Einkommens. Über eine halbe Millionen Haushalte zahlten nach diesen gängigen Maßstäben zu hohe Mieten. Eindrücklich war Holms Übersicht von Immoscout-Angeboten mit Blick auf Hartz-IV-Bezieher: „Wer mit Restriktionen des Jobcenters eine Wohnung finden will, hat immer weniger Möglichkeiten, fündig zu werden“ – gab es 2014 noch 60.000 solcher niedrigpreisiger Angebote, gab es zuletzt nur noch 4.000, so Holm.

Andrej Holm

Rainer Wild vom Mieterverein ergänzte weitere Gruselzahlen zum kaputten Wohnungsmarkt: Auf jede Wohnungsanzeige gebe es im Schnitt Bewerbungen von 150 Haushalten. Es sei am Bedarf vorbei gebaut worden, weil deutlich zu wenige Sozialwohnungen gebaut würden. Die Lage sei prekär: Kaum jemand in der Stadt könne ohne viel Geld eine bezahlbare Wohnung finden. Zudem sei nach dem gekippten Mietendeckel angesichts der FDP keine Hilfe von der Ampelkoalition im Bund zu erwarten. Man brauche eigene Wege, um den Bedarf an günstigen Wohnungen zu decken, so Wild.

Das Problem sei Finanzialisierung der Wohnungsmärkte durch große Unternehmen, die im Fokus der Enteignungsinitiative stünden. Die Wertpapierhandel mit Immobilien betrieben, Rentenfonds aus aller Welt, die auf Immobilien spekulierten und ihre Renditen aus Neuköllner Mietverhältnissen bezahlten, so Wild drastisch: „Von einem Euro Miete an Vonovia, gehen 45 Cent in die Dividende.“ Die Zahl mache sehr deutlich, dass eine ordentliche und sozialverträgliche Bewirtschaftung sich damit kaum vertragen.

Taheri von DW enteignen führte wenig später aus, was diese Dividende in der Praxis neben steigenden Preisen und Verdrängung bedeutet – nämlich keine Instandhaltung bei gleichzeitig hohen Investitionen in auf die Mieten umlagefähige Modernisierungen: „In bestimmten Siedlungen fallen jedes Jahr die Heizungen aus, sobald die Temperaturen unter null Grad fallen.“