Antideutsche vs Antiimps: Die Entscheidungsschlacht auf Sylt

Die Sehnsucht, den Szene-Beef der Linken per Schlägerei zu beenden, ergibt Sinn – vor allem nach jahrzehntelangem Scheitern durch Dialog.

Ein Zug fährt über den Hindenburgdamm nach Sylt.

Ruhe vor dem Sturm. Bald heißt es schon im Zug nach Sylt: Antideutsche vs Antiimps Foto: Kristian Cabanis/imago

Nach meiner letzten Kolumne über den Sturm auf Sylt (und ob er sich lohnt), erhielt ich eine Leser_innenzuschrift oder vielleicht auch digitale Einladungskarte. Es war ein Foto, das an irgendeinem Provinzbahnhof gemacht wurde, beschriftet mit den folgenden Zeilen: „Antideutsche vs Antiimps. ENTSCHEIDUNGSSCHLACHT.“ Ein Datum, eine Uhrzeit und als Ort: Sylt. Zusätzlich der Hinweis: „keine Waffen, keine Argumente“.

Wahrscheinlich beginnen die Provokationen bereits in der Regionalbahn, wo sich die beiden Teams alkoholisiert bei ihrer Anfahrt begegnen. Die Antideutschen in ihren schwarzen Fred-Perry-Polohemden, ihren ill-fitting Jeans und New Balance Sneakern (manche werden das Asics-Update gemacht haben), die Antiimperialist_innen in T-Shirts mit Polit-Aufdruck, Kufiyah um den Hals, ebenfalls schlecht sitzenden Hosen und Turnschuhen (uneinheitlich). Sie werden sich gegenseitig Hässlichkeit vorwerfen. Beide Lager werden im Recht sein.

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In jedem zweiten Abteil sitzen ein paar Queers mit glänzenden Sport-Shorts, Tanktops, Tennissocken, Plateau-Sandalen und exzentrischem Make-up, die von den Antiimps als „Scheiß-Touris“ und von AntiDs als „Dschihadismus-Apologet_innen“ bezeichnet werden. Die Pinkwashing-Vorwürfe fallen gegenüber beiden Teams. Würde dieser Kampf queer ausgetragen werden, hätten wir einen stundenlangen Vogueing Ball voller geiler Tanzeinlagen, heftigen Outfits und cheeky Konzepten vor uns, aber die meisten sind eh cis hetero.

Residents sichern ihr Eigentum

Um sicherzugehen, dass die Antideutschen aus Angst, von stiernackigen Kanaken auf die Fresse zu kriegen, nicht in letzter Sekunde kneifen, wird vorab eine Fight-Club-Area mit verschiedenen Disziplinen angekündigt: Die Stationen teilen sich auf in Backgammon, Armdrücken, Wrestling und Quick-’n’-Dirty-Schlägerei. Beide Mannschaften bringen ihre massivsten Knochenbrecher_innen mit. Während sie sich auf der Insel gegenseitig bekämpfen, sichern die reichen Residents ihr Eigentum, reisen mit Privatjets ab und rufen die Polizei, die ohnehin schon ready war. Die Übernahme Sylts zur roten Zone scheitert, wie die meisten linken Bestrebungen, mal wieder am Israel-Palästina-Konflikt. Es gibt zig Verhaftungen und auf der Rückreise Zoff auf Twitter. Gewonnen hat der Staat.

Die Sehnsucht danach, den Szene-Beef der deutschen und österreichischen Linken per Schlägerei zu beenden, ergibt nach jahrzehntelangem Scheitern einer Annäherung durch Dialog oder Argumente Sinn. So mackrig dieser Aufruf klingt, birgt er einen Hauch von Zärtlichkeit, den sich keine_r der beiden Lager jemals eingestehen würde. Du kannst niemaus aufs Maul geben, ohne die Person anzufassen. Eine Rauferei kann ein homoerotischer Playfight sein, eine innige Umarmung, die intensivste Dimension von Reibung, die existiert. Was, wenn es einen heißen Schwitzkasten braucht, um die Verachtung ins Gegenteil kippen zu lassen?

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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