So rassistisch ist Deutschland

Eine umfangreiche Studie unter-suchte das komplexe Thema

Von Dinah Riese

Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist in ihrem Leben schon einmal mit Rassismus in Berührung gekommen. Das ist eine der zentralen Erkenntnisse einer Studie, die am Donnerstag in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Lediglich 35 Prozent der Befragten gaben an, noch keinerlei Berührung mit Rassismus gehabt zu haben.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus sagte zu den Ergebnissen: „Extremismus und Rassismus gehen uns alle an.“ Sie betonte, dass viele Deutsche bereit seien, sich gegen Rassismus zu engagieren. Daran wolle die Bundesregierung beim Kampf gegen Rassismus „anknüpfen“.

Im Jahr 2020 hatte der Bundestag das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung beauftragt, einen „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ zu erstellen. Für die nun vorgelegte, repräsentative Auftaktstudie „Rassistische Realitäten“ wurden 2021 telefonisch 5.000 Menschen befragt, um herauszufinden, wie verbreitet rassistische Einstellungen, aber auch Rassismus­erfahrungen sind.

Es gebe zwar Studien, die rassistische Einstellungen untersucht hätten, sagte Cihan Sinanoglu, Leiter der Geschäftsstelle für den Rassismusmonitor, der taz. „Aber uns liegen bisher wenig repräsentative Daten für die Lebenssituation und die strukturellen Ausschlüsse von rassifizierten Gruppen vor, und auch wenig repräsentative Daten zu ihren Diskriminierungserfahrungen.“

90 Prozent der Befragten erkennt an, dass Rassismus in Deutschland Realität ist. Mehr als ein Fünftel gab an, selbst schon Rassismus erfahren zu haben. Dabei nannten viele Befragte nicht nur individuelles Verhalten, sondern auch strukturellen und institutionellen Rassismus; etwa in den Bereichen Schule, Arbeitsmarkt oder Wohnen oder in Behörden.

Das Bewusstsein für Rassismus ist groß, das Problem selbst aber auch: Fast die Hälfte der in der Befragten glaubt an die Existenz menschlicher „Rassen“. Auch rassistische Stereotype sind verbreitet – etwa: bestimmte ethnische Gruppen seien von Natur aus „fleißiger“ als andere (33 Prozent) oder gar „besser“ (27 Prozent).

Zudem sind auch Abwehrreflexe verbreitet: Viele verorten ihn bei Rechtsextremen. Auch findet es etwas mehr als die Hälfte der Befragten „Unsinn, dass bisher normale Wörter jetzt rassistisch sein sollen“. Fast 45 Prozent sehen die Meinungsfreiheit durch „Rassismusvorwürfe und politische Korrektheit“ eingeschränkt.

Auffällig ist, welch große Rolle es spielt, wer von Rassismus betroffen ist. So fragten die For­sche­r*in­nen ab, ob bestimmte Positionen rassistisch seien, etwa wenn Menschen öfter an der Grenze kontrolliert werden oder eine Wohnung nicht bekommen, weil sie „nicht in die Nachbarschaft passen“. Deutlich mehr schätzten das als rassistisch ein, wenn sie in Bezug auf Schwarze oder jüdische Menschen danach gefragt wurden, als wenn es um Sin­ti*z­ze und Rom*nja, um Ost­eur­opäe­r*in­nen oder Mus­li­m*in­nen ging.