Volksbegehren „Berlin autofrei“: Verhältnismäßig umstritten

Die Innenverwaltung hält den Gesetzentwurf von „Berlin autofrei“ für grundgesetzwidrig. Wahrscheinlich geht es nun vors Verfassungsgericht.

Autofrei-DemonstrantInnen vor dem Brandenburger Tor

Noch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben Foto: dpa

BERLIN taz | Das Volksbegehren Berlin autofrei verstößt gegen das Grundgesetz und ist damit unzulässig – findet jedenfalls die Senatsverwaltung für Inneres. Mit zweimonatiger Verspätung hat die Behörde am Dienstag ihre Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf an die Senatsverwaltung für Mobilität übermittelt. Hat diese sich auch dazu geäußert, muss der gesamte Senat seinen Standpunkt formulieren. Dann wandert die Sache voraussichtlich vor den Verfassungsgerichtshof des Landes.

„Die angestrebten Regelungen, den privaten Autoverkehr im gesamten Innenstadtbereich (sog. Hundekopf) grundsätzlich gesetzlich zu verbieten und nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, sind im Ergebnis unverhältnismäßig und mit der allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar“, so die stellvertretende Sprecherin der Innenverwaltung, Sylvia Schwab. Dabei beruft sich das Haus von Senatorin Spranger (SPD) auf Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Beantragt wurde das Volksbegehren von der Initiative Volksentscheid Berlin autofrei: Anfang August 2021 reichte sie mehr als 50.000 Unterschriften dafür bei der Innenverwaltung ein. Gemäß dem Berliner Abstimmungsgesetz hätte sich der Senat eigentlich schon im Januar positionieren müssen, es kam aber zu einem Aufschub bis März, weil die Initiative inhaltliche Änderungen nachreichte. Angestrebt wird von ihr die Verbannung des privaten Kfz-Verkehrs aus dem gesamten S-Bahn-Ring – mit einer Vielzahl von Ausnahmen. Ein Berlin mit weniger Autoverkehr wäre „lebenswerter und klimafreundlicher“, so die Überzeugung von „Berlin autofrei“.

In einer ersten Reaktion auf die Bewertung durch die Senatsverwaltung teilten die InitiatorInnen mit, die Unverhältnismäßigkeit liege nicht im Gesetzentwurf, sondern „in der Vorherrschaft des Autos“. Senatorin Iris Spranger und ihrer Verwaltung fehlten offenbar „der politische Wille und Mut, diese Probleme ernsthaft zu lösen. Aber sollte der Senat uns vor das Landesverfassungsgericht schicken, scheuen wir diesen Weg nicht“, so Sprecherin Nina Noblé.

Innen Eher „autoarm“ würde Berlins Innenstadt auf Grundlage des Gesetzentwurfs von „Berlin autofrei“. Von der angestrebten Anpassung des Berliner Straßengesetzes blieben Wirtschafts- und Einsatzverkehr unberührt, Menschen mit Einschränkungen könnten ihr Auto weiter nutzen, und alle anderen HalterInnen dürften 12-mal im Jahr private Fahrten unternehmen.

Außen Im Gegensatz zur grünen Landesspitze, die diesen Weg für richtig hält, hat ihn die grüne Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch im taz-Interview als „politisch und praktisch falsch“ bezeichnet. Ihre Befürchtung: Wird der S-Bahn-Ring autofrei, bereitet der Berufsverkehr am Rand Probleme.

Gute Chancen erwartet

Die Initiative verwies darauf, dass ihr Entwurf durch „viele erfahrene Ju­ris­t:in­nen erarbeitet, geprüft und verbessert“ worden sei. Deshalb schätze man die Chancen vor dem Verfassungsgericht als „sehr gut“ ein. Auch habe 2021 der Verwaltungsrechtler Remo Klinger in einem Gutachten für die Senatsverwaltung festgestellt, dass der Gesetzentwurf der Initiative „formell mit dem Grundgesetz vereinbar“ und in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit eine rechtskonforme Auslegung möglich sei.

An die VerfassungsrichterInnen überwiesen hatte der Senat schon den Gesetzentwurf des Volksbegehrens „Berlin werbefrei“. Begründung: Er vermische nicht zusammengehörende Dinge und sei wegen dieses Verstoßes gegen das sogenannte Koppelungsverbot unzulässig. Der Gerichtshof entschied allerdings Ende 2019, die Innenverwaltung müsse der Initiative eine rechtskonforme Nachbesserung ermöglichen. Das tat diese – aktuell liegen ihre Vorschläge wieder zur Prüfung im Hause Spranger.

Berlins grüne Doppelspitze – Susanne Mertens und Philmon Ghirmai – erklärte am Dienstag, ihre Partei teile das „Ziel des Volksbegehrens, autofreie und autoarme Bereiche in Berlin zu schaffen“. Die große Unterstützung habe gezeigt, „wie wichtig und richtig dieser Weg ist“. Die Prüfung durch das Verfassungsgericht stelle nun „eine große Chance dar“, finden Mertens und Ghirmai, weil geprüft werden könne, „ob dieser Weg verfassungskonform und verhältnismäßig ist. Dann haben wir Klarheit darüber, ob diese gesetzliche Regelung tatsächlich ein Baustein zu einer Verkehrswende in Berlin werden kann.“

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