talk of the town
: Moralisch schlecht

Elon Musk will Menschen wie Trump nicht mehr dauerhaft von Twitter ausschließen. Das kann Konsequenzen haben. Nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Konzern

Kommt er zurück? Foto: Carlos Barria/Reuters

Von Johannes Drosdowski

Er hat Joe Biden Wahlbetrug unterstellt, die Gefahren von Corona heruntergespielt und seine Unterstützung deutlich gemacht für die Menschen, die am 6. Januar 2021 gewaltsam das US-Kapitol stürmten – alles auf Twitter. Dafür wurde der ehemalige US-Präsident Donald Trump von der Plattform verbannt. Nun will Elon Musk genau diese Konsequenz rückgängig machen, falls er Twitter kauft. Das sagte er am Dienstag der Financial Times.

Er halte die Entscheidung für den lebenslangen Ausschluss Trumps von Twitter für „moralisch schlecht und extrem töricht“. „Sie hat einen großen Teil des Landes verprellt und letztlich nicht dazu geführt, dass Donald Trump keine Stimme mehr hatte.“

Ja, Trump hat weiterhin „eine Stimme“. Er hat seine eigene Social-Media-Plattform „Truth Social“ aufgebaut, auf der sich vor allem rechtspopulistische Ideo­lo­g*in­nen tummeln. Auch eine gewisse Reichweite außerhalb der sozialen Medien konnte er behalten. Jedoch: Zumindest per Tweet kann er seinen Hass nicht mehr in die Welt schreien. Seine Anhängerschaft mag sich dadurch nicht verringern, doch das Wachstum dürfte etwas eingeschränkter sein.

Trump sagte schon vor einigen Wochen, dass er nicht zu Twitter zurückkommen werde, sondern bei seiner eigenen Plattform bleibe.

Doch Musk bezieht sich bei seiner Ankündigung nicht nur auf Trump, sondern generell auf das Konzept lebenslanger Account-Sperren auf Twitter. Damit würde Twitter eine Maßnahme aus der Hand geben: Statt Po­pu­lis­t*in­nen und Men­schen­has­se­r*in­nen bei wiederholten Verstößen gegen Gesetze oder Plattformregeln komplett auszuschließen, müssten sie dann jeden einzelnen derartigen Tweet der Person löschen.

Man stelle sich vor, jemand würde regelmäßig im Supermarkt um die Ecke menschenfeindliche Parolen an den Kühlschrank kritzeln und das Verkaufspersonal dürfte die Person nicht hinauswerfen, sondern müsste immer wieder die Schmiererei entfernen. Das kostet Zeit und Energie – vermutlich mehr als ein Ladenverbot.

Auch Twitter müsste wohl einiges investieren, um die Löscharbeiten schnell und korrekt durchzuführen. Besonders weil die Plattform bald in der EU dem Digital Services Act (DSA, Gesetz über digitale Dienste) folgen muss, auf das sich die EU Ende April einigte. Der DSA hat unter anderem das Ziel, dass illegale Inhalte wie Hassrede, Terrorpropaganda, Gewaltaufrufe schneller gelöscht werden.

Zumindest per Tweet schreit Trump seinen Hass nicht mehr in die Welt

Besonders problematisch könnte es für Twitter werden, falls es von der EU als „sehr große Onlineplattform“ eingestuft wird. Dafür müsste Twitter mehr als 45 Millionen Nut­ze­r*in­nen in der EU haben oder mehr als 100.000 Geschäftskund*innen. Doch bislang ist unsicher, ob Twitter diese Schwelle überschreitet. Im ersten Quartal 2022 kam die Plattform täglich auf 229 Millionen monetarisierbare Use­r*in­nen weltweit, über 80 Prozent sitzen außerhalb der USA. Monetarisierbar heißt, dass Twitter die Möglichkeit hat, mit den Use­r*in­nen Geld zu verdienen, etwa durch Werbung.

Diese Plattformen werden dazu verpflichtet, die Risiken auf der eigenen Plattform zu analysieren und eine Risiko­min­de­rungs­analyse durchzuführen – jedes Jahr. Damit will die EU sicherstellen, dass die Plattformen genug gegen Hass und andere illegale Inhalte vorgehen. Und damit könnte sie uns helfen herauszufinden, welche Konsequenzen Musks Plan hat, falls er ihn durchsetzt. Das DSA soll 2023 in Kraft treten. Ein Jahr später wäre dann die erste Analyse fällig, also 2024.

Um Trumps Ideologie und Hetze aufzuhalten, könnte das zu spät sein: Denn die nächste Präsidentschaftswahl in den USA findet 2024 statt.