der mitschnitt
: Ich mache das noch, weil ich für den Beruf brenne

„Die anderen Kinder, die ‚nur‘ traurig sind, müssen warten“

Jessica Wohlers, 41, Erzieherin seit 2003, arbeitet in einer Krippe in Hamburg-Barmbek. Der Träger ist die Elbkinder gGmbH im Besitz der Stadt. Sie folgt heute einem bundesweiten Streik-Aufruf der Gewerkschaft Ver.di.

Heute streike ich, weil in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben auf uns zugekommen sind, ohne dass wir mehr Zeit dafür bekommen hätten. Beispielsweise müssen wir Entwicklungsberichte schreiben, zum Teil halbjährlich, die wir auch in Elterngesprächen vorstellen sollen – die wir wiederum vorbereiten müssen. Dazu kommt die Portfolio-Arbeit. Das heißt, wir machen Fotos von den Kindern und schreiben kleine Geschichten dazu, sodass sie am Ende ihrer Kita-Zeit einen Ordner voller Bilder und Erzählungen mitbringen.

Für all das fehlt uns aber die Zeit, sodass viele das privat nach Feierabend machen. Im Kindergarten-Alltag schaffen wir das nicht, weil wir jetzt schon viel zu viele Kinder mit zu wenig Personal betreuen. Es gibt Kolleg:innen, die sind seit Wochen mit 40 Drei- bis Sechsjährigen alleine in einer Gruppe. In meiner Gruppe mit den Kleinkindern bis drei Jahre sind wir zu zweit für 16 Kinder da. Theoretisch sind wir zu dritt, aber eine ist immer im Urlaub oder krank oder auf Fortbildung, das wird einfach nicht eingerechnet. Wenn dann die Hälfte der Kindern weint, müssen wir priorisieren. Wer hat sich wehgetan? Die kommen zuerst dran. Die anderen, die „nur“ traurig sind, müssen warten. Das finde ich schlimm und seelisch belastend. Da kann ich nicht aus dem Raum gehen und sagen, ich schreib’jetzt mal einen Entwicklungsbericht oder bereite etwas vor.

Die Personalsituation im Kita-Bereich war immer grenzwertig und schon 2015 haben wir für einen besseren Betreuungsschlüssel gestreikt, aber seitdem hat sich das Problem verschärft. Mit jeder Gehaltserhöhung wurden auch die Gruppen vergrößert. Und es gibt immer zu wenig Nachwuchs. Helfen würde in jedem Fall, wenn die Ausbildung keine schulische wäre, sondern ein Ausbildungsgehalt gezahlt würde. Aber von denen, die die Ausbildung machen, springen viele danach ab. Sie kriegen ja während ihrer Zeit in der Praxis mit, was abgeht in den Kitas. Und das schreckt viele ab. Andere hören auf, weil sie einfach nicht mehr können. Ich mache das immer noch, weil ich für den Beruf brenne, ich liebe ihn einfach.

Die letzten zwei Jahre mit Corona waren wirklich hart. Wir haben die ganze Zeit ohne Maske gearbeitet und waren alle krank, dazu kam vor allem im ersten Jahr ohne Impfung die Angst vor der Ansteckung. Momentan dauert die Eingewöhnung neuer Kinder deutlich länger als sonst, weil jetzt Kinder in die Kitas kommen, die noch gar keinen Kontakt zu anderen Menschen hatten. Die kommen in die Kita und schreien wie am Spieß, weil sie total Angst haben. Hinzu kommen Kinder, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen als Folge der Pandemie-Erfahrungen. Und jetzt sind die geflüchteten Kinder aus der Ukraine dazu gekommen, die größtenteils traumatisiert sind.

Protokoll: Eiken Bruhn