Wirtschaftsweise über Energieimportstopp: „Zurück ins Jahr 2020“

Ein sofortiger Lieferstopp von Energie aus Russland würde eine Rezession bedeuten, sagt Wirtschaftsweise Achim Truger. Ein Strukturwandel sei nötig.

erleuchtete RAffinerie in der Nacht

Total Raffinerie in Leuna, die russisches Rohöl raffineriert Foto: Paul Langrock

taz: Herr Truger, halten Sie es für verantwortbar, die Energielieferungen aus Russland als Antwort auf den Krieg zu kappen? Sie sind Berater der Bundesregierung – sagen Sie jetzt bitte nicht, das müsse die Politik entscheiden.

Achim Truger: Doch, genau das sage ich. Verantwortbarkeit ist das Gebiet der demokratisch gewählten Abgeordneten. Die müssen diese komplexen Abwägungen treffen. Als Ökonom kann ich dazu beitragen, die wirtschaftlichen Auswirkungen einzuschätzen.

Vielleicht stellt Russland die Lieferungen selbst ein, weil der Westen sie nicht in Rubel bezahlen will. Aber wäre ein Energieembargo von deutscher oder europäischer Seite denn überhaupt ökonomisch verantwortbar?

Begriffe wie „verantwortbar“ oder „handhabbar“ möchte ich nicht verwenden. Ich kann Ihnen sagen: Ein sofortiger Lieferstopp für Energie aus Russland würde in Deutschland zu einer Rezession führen. Die träfe das Land in einer Lage, in der es sich von Corona noch nicht erholt hat. Die Schrumpfung würde uns wirtschaftlich etwa ins Jahr 2020 zurückwerfen. Und jetzt geht es nicht um die persönlichen Dienstleistungen und die Gastronomie, sondern um den Kern der deutschen Industrie. Das wäre sehr gravierend.

„Zurück auf 2020“ klingt nicht dramatisch.

Das Energieembargo als Sanktion gegen Russland würde hierzulande starke wirtschaftliche Schäden verursachen. Auf Basis einer aktuellen Studie müsste man mit mehreren 100.000 zusätzlichen Arbeitslosen rechnen. Viele Industrieunternehmen müssten ihre Produktion einschränken oder einstellen, was Investitionen entwertet und neue erfordert, etwa die kurzfristige Umstellung von Erdgas auf Öl.

gehört dem Sach­verständigenrat für Wirtschaft an, der die Bundesregierung berät. Am Mittwoch veröffentlichte das Gremium seine aktuelle Schätzung zur Entwicklung der deutschen Wirtschaft.

Im April 2020 waren wegen Corona sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Die Bundesagentur für Arbeit bezahlte das. Kann der Staat die eventuelle neue Wirtschaftskrise nicht ebenfalls abfedern?

Das wäre die Hoffnung. Aber jetzt geht es um mehr. Nicht nur um eine kurzfristige Überbrückung wie bei Corona. Jetzt stehen die Strukturen der industriellen Produktion zur Diskussion. Der tiefgreifende Strukturwandel von fossiler zu erneuerbarer Energie muss nun viel schneller kommen.

Ist der Punkt nicht eigentlich, ob der Staat ein paar hundert Milliarden Euro zusätzlicher Kredite aufnimmt, um Unternehmen und Privathaushalten die Ausfälle zu kompensieren, die die aktuellen Sanktionen verursachen?

Erstens müssen viele Firmen unter Druck ihre Produktionsverfahren umstellen. Das wird zweitens große Summen verschlingen, auch staatliche. Über dabei anfallende höhere Staatsverschuldung mache ich mir am wenigsten Sorgen.

Ist es realistisch, dass die Bundesregierung im nächsten Jahr die Schuldenbremse einhält?

Das betrachte ich als unwahrscheinlich. Die Kosten für Wirtschaftshilfen und Energiesicherheit steigen, die Konjunktur läuft schlechter. 2023 wird die Regierung ihre Rücklagen stark aufzehren. Die Festlegung, die Schuldenregel wieder einzuhalten, birgt große Risiken für die Glaubwürdigkeit.

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