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Werbetour geht weiter

Mit einem 2:0 gegen Israel glückt der deutschen Nationalmannschaft der Auftakt ins WM-Jahr. Schönheitsfehler sind Bundestrainer Hansi Flick sogar willkommen – genau wie jetzt der Härtetest gegen die Niederlande

Aus Sinsheim Frank Hellmann

Das Bemühen um eine bessere Bindung zum Fußballfan ist bei der Nationalmannschaft offenkundig. Als Reservist Antonio Rüdiger am Samstagabend in Sinsheim nach dem Aufwärmen in die Kabine ging und auf der Tribüne einige Jugendliche kreischten, grüßte der Abwehrstar vom FC Chelsea freundlich zurück. Als nach Spielende eine Schar Kinder um ein Autogramm bat, stapfte der Torschütze Timo Werner nicht sofort in die Kabine, sondern unterschrieb noch am Absperrgitter, an dem auch Einwechselspieler Lukas Nmecha Fotowünsche erfüllte.

Solche Bilder schienen nach dem geglückten Auftakt ins WM-Jahr gegen Israel (2:0) vor 25.600 Zuschauern in der ausverkauften Arena fast genauso wichtig wie das Resultat, wobei Bundestrainer Hansi Flick eher beiläufig registrierte, dass sein Startrekord jetzt bei acht Siegen (und 31:2 Toren) steht. Gleichwohl spürte der 57-Jährige bei seinem Heimspiel in der von ihm geliebten Region – er wohnt in Bammental, ist in Mückenloch aufgewachsen –, dass die Menschen der DFB-Auswahl gegenüber wieder positiv gestimmt sind; dass sie auch bereit sind, Schönheitsfehler zu verzeihen.

Den wohl gravierendsten hatte der ansonsten bärenstarke Debütant Nico Schlotterbeck begangen, der in der Nachspielzeit schon den Schlaf des Gerechten träumte, als ihm ein törichtes Foulspiel an Yonatan Cohen unterlief, der aber mit seinem Elfmeter am zur Pause eingewechselten Torwart Kevin Trapp scheiterte. Zuvor hatte auf der Gegenseite Thomas Müller mit seinem Strafstoß nur den Pfosten getroffen. „Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Die Freude wäre etwas getrübt gewesen, wenn wir zum Schluss noch ein Gegentor bekommen“, mahnte Flick. Von einem „kleinen Arroganzanfall“ sprach ZDF-Experte Per Mertesacker bei Schlotterbeck – und Flick hoffte inständig, dass seinem wasserstoffblondierten Neuling „diese letzte Aktion hoffentlich eine gute Lehre“ gewesen sei. Denn es sind genau solche Aktionen, die bei der WM in Katar laut Flick „tödlich“ sein können.

Dass der (noch) für den SC Freiburg spielende 22-Jährige mit seinem starken linken Fuß in der Spieleröffnung eine echte Alternative darstellt, war offensichtlich. Wie überhaupt viele Einzelspieler Werbung in eigener Sache betrieben, da Stammkräfte entweder zur Schonung oder aus Verletzungsgründen fehlten. Aber die Nachrücker machen Druck. Wie der Linksverteidiger David Raum, der als Lokalmatador von der TSG Hoffenheim nicht zufällig jenen Eckball schlug, in dessen Anschluss der in der ersten Halbzeit überragende Kai Havertz die Kugel einköpfte (36.).

„Beim Derby gegen Holland ist das Scheinwerferlicht noch mal greller“

Thomas Müller, gescheiterter Elfmeterschütze

Sein Vereinskamerad beim FC Chelsea, der unter Thomas Tuchel selten zum Zuge kommende Timo Werner bestätigte, dass auf ihn im DFB-Dress Verlass ist, als er nach Freistoß von İlkay Gündoğan gedankenschnell vollendete (45.+1). Sein sechstes Tor unter Flicks Regie sei kein Zufall, erklärte Werner, „vielleicht passt das hier mehr zu mir“. Die Liste ließe sich über den umsichtigen Rückkehrer Julian Weigl, den in offensiver und defensiver Rolle überzeugenden Jamal Musiala oder den selbstbewussten Debütanten Anton Stach noch verlängern. Und natürlich hat auch Trapp mit seiner späten Parade gepunktet.

Der zweite Anzug sitzt also ordentlich, auch wenn der biedere Weltranglisten-77. Israel kein echter Gradmesser war. Gegen stärkere Gegner braucht es dringend mehr Effizienz und Konsequenz. Da kommt das Prestigeduell gegen die Niederlande (Dienstag 20.45 Uhr) wie gerufen. Beim „Derby gegen Holland“, sagte Müller vorab, „ist das Scheinwerferlicht noch mal greller.“ Wobei sich der Bundestrainer am Samstag weigerte, über den Klassiker gegen Oranje zu sprechen. Dass es Trainern und Spielern viel bedeutet, gegen den früheren Bayern-Lehrmeister Louis van Gaal als Bondcoach zu bestehen, versteht sich von selbst. Ob Deutschland wirklich bereits wieder zu jenen Teams zählen, die berechtigterweise in der Wüste von Katar den Gewinn des Goldpokals anpeilen, darüber geben erst Aufgaben wie in Amsterdam Aufschluss.

Danach wird sich der Blick unweigerlich auf den 1. April richten, wenn in Doha die WM-Endrunde ausgelost wird. Deutschland liegt, das bringt das Fifa-Ranking nun mal mit sich, dann nur im zweiten Lostopf. Sympathiepunkte zu sammeln, reicht bei der avisierten Rückkehr in die Weltspitze nicht.

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