piwik no script img

„In Flensburg gab es schon früh antisemitische Vorfälle“

Bettina Goldberg hat zu jüdischem Leben an der Börde geforscht

Bettina Goldberg, Jahrgang 1955, ist Dr. habil, Historikerin und Gymnasiallehrerin i.R. Für ihre Habil-Schrift „Abseits der Metropolen. Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein“ erhielt sie 2011 den schleswig-holsteinischen Geschichtspreis.

Von Esther Geißlinger

taz: Frau Goldberg, Sie haben ein Buch über die Geschichte der Jü­d*in­nen in Flensburg verfasst, das jetzt in erweiterter Neuauflage herauskommt – warum gerade Flensburg?

Bettina Goldberg: Die erste Fassung ist 2006 bei der Flensburger Gesellschaft für Stadtgeschichte erschienen. Diese wollte die damals vorherrschende Meinung widerlegen, wonach es in Flensburg weder Juden noch Judenverfolgung gegeben habe. Die Neuauflage ist dank der Jüdischen Gemeinde zustande gekommen.

Jü­d*in­nen konnten sich in Flensburg erst im 19. Jahrhundert ansiedeln, entsprechend ausführlich schildert das Buch das 20. Jahrhundert. Steht damit der Holocaust nicht zu sehr im Mittelpunkt?

Nein. Natürlich gehe ich auf den Antisemitismus sowie auf die Verfolgung und die massenhafte Ermordung der Jü­d*in­nen ausführlich ein, aber ebenso sehr stelle ich deren Familien, Arbeit und Freizeit aus der Binnenperspektive dar. Dabei lasse ich auch Zeit­zeu­g*­in­nen zu Wort kommen.

Wie groß war die Gemeinde?

Die jüdische Minderheit in Flensburg war vergleichsweise klein. Sie bestand sowohl aus deutschen Juden als auch aus Juden, die nach dem Ersten Weltkrieg aus Osteuropa zugewandert waren. In Flensburg gab es recht früh antisemitische Vorfälle. So erfand 1920 ein Schüler einen Angriff durch einen „jüdisch aussehenden Mann“.

War das besonders krass?

Buchvorstellung und Einführungsvortrag der Autorin, 31. 3., Rathaus Flensburg

Bettina Goldberg: „Juden in Flensburg“, zweite, erweiterte Auflage, zu beziehen über die Jüdische Gemeinde, Friesische Straße 81, Flensburg

Schulischer Antisemitismus war im Deutschen Reich der Weimarer Zeit ein großes Problem. In meinem Buch „Abseits der Metropolen“ zum Judentum in Schleswig-Holstein insgesamt ist das Phänomen auch für andere Orte dokumentiert. In Flensburg kam zum Antisemitismus noch eine antidänische Stimmung. Dieses Gemisch heizte die Atmosphäre weiter an.

Sie schildern nicht nur chronologisch, sondern porträtieren auch Personen. Warum diese Form?

Ich will auf anschauliche Weise zeigen, wie vielfältig die jüdische Minderheit war und ist. Das Buch ist nach wissenschaftlichen Grundsätzen verfasst, zielt aber auf einen breiten Leserkreis, darunter Schüler*innen. Aus Erfahrung weiß ich, wie wichtig für Jugendliche ein biografischer Zugang zum Thema ist. Mit „Fotoalben“ stelle ich sowohl früher als auch heute in Flensburg ansässige Angehörige der jüdischen Minderheit vor. Dazu gehören die gebürtige Ukrainerin und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Elena Sokolovsky, deren Engagement die Wiederbelebung jüdischen Lebens in Flensburg zu verdanken ist, sowie Gershom Jessen, der Geschäftsführer der heutigen Gemeinde, der aus der dänischen Minderheit kommt und erst im Erwachsenenalter seine jüdischen Wurzeln entdeckte. Dass ich den Bogen von den Anfängen der Minderheit bis heute spanne, macht das Buch einzigartig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen