: S(ch)ichtwechsel #11
Öffentliches Nachdenken über Privilegien, Urlaub, Corona und den Krieg
Vincent Bruckmann
Jahrgang 1995, ist taz-lab-Redakteur und verbrachte seine Sommerurlaube in mallorquinischen Pools.
Ich sitze vor meinem Lieblingscafé und trinke einen Eiskaffee. Es ist Ende März und fast 20 Grad warm. In der Ukraine tobt währenddessen der russische Angriffskrieg und ich frage mich, wie ich helfen kann. Sollte ich jemanden aufnehmen in die Zwei-Zimmer-Wohnung, die ich mit meinem Bruder bewohne? Sollte ich mich an den Berliner Hauptbahnhof stellen und Hilfe organisieren?
Ich frage mich, wie ich helfen kann, und frage mich gleichzeitig nach meinem Sommerurlaub. Ist das egoistisch? Die Ukrainer:innen bangen um ihr Leben, fliehen aus der Heimat und ich denke an die Toskana, Oliven und Pinienkerne. Aber darf ich da überhaupt noch hinfliegen?
Während sich meine inneren Urlaubsdebatten in den vergangenen Jahren um Flugscham und meinen CO2-Fußabdruck drehten, kommt jetzt noch eine Frage dazu: Darf ich in den Urlaub fahren, während Russland die Ukraine in Schutt und Asche legt? Es scheint mir unangemessen. Doch den Ukrainer:innen ist auch nicht geholfen, wenn ich nicht in den Urlaub fliege. Es dürfte ihnen ziemlich egal sein.
Und auch die Reaktionen auf diesen Text stelle ich mir vor: Wie privilegiert ist es bitte, jetzt über seinen Urlaub nachzudenken? In der Ukraine herrscht Krieg und dann so ein Artikel?
Privilegiert ist es ganz bestimmt. Weil ich einer Klasse angehören, die sich den jährlichen Sommerurlaub leisten kann. Es ist aber auch ein öffentliches Nachdenken nach zwei Jahren Pandemie und zwei Corona-Erkrankungen trotz Impfung. Anderen geht es schlechter und wir sollten alles Mögliche tun, um ihnen zu helfen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch auf unsere eigene Gesundheit achten sollten. Viele sind ausgelaugt und gesundheitlich angeschlagen. Ein Urlaub kann da manchmal Wunder wirken.
Ich trinke also meinen Kaffee aus und gehe nach Hause. Ich setze mich vor den Computer und schaue nach möglichen Reisezielen. Wie wär’s mit Kreta? Vincent Bruckmann
Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über Klima, Klasse und Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen