Hackesche Höfe in Berlin: Reste eines Aufbruchs

Das Chamäleon Theater in Berlin-Mitte behauptet sich als kulturelle Pionierinstitution in den Hackeschen Höfen – und setzt auf zeitgenössischen Zirkus.

Menschen fliegen an den Hackeschen Höfen vorbei

So ein Zirkus Foto: Sebastian König

BERLIN taz | Die Hackeschen Höfe im Herzen Berlins wirken derzeit verlassen. Nur wenige und meist kleine Menschengruppen tröpfeln durch die einmalige Anlage, die acht Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in prachtvoller Jugendstilornamentik eingeweiht wurde.

Der Berlintourismus stockt pandemiebedingt. Und weil die Ber­li­ne­r*in­nen die Höfe schon lange den Tou­ris­t*in­nen überlassen haben, herrscht dort jetzt eben Leere. In den Schaufensteraugen der Taschenläden und Kleiderboutiquen, die aus den blank gewienerten Kacheln der Hofwände hinausschauen, spiegelt sich kaum ein Gesicht.

Das ist eine späte Rache. Denn wer jetzt in den Höfen sein Geschäft betreibt, war oft ganz direkt Vertreiber und Verdränger derjenigen, die die Höfe erst wieder lebenswert gemacht hatten, die mit ersten Performances vor dem Hintergrund der Trabis der alten Autowerkstatt überhaupt Menschen in die grau verputzten Labyrinthe lockten.

Jetzt werden im einstigen Spielort des Hackeschen Hoftheaters hochpreisige Taschen verkauft. Wo sich die Aedes Architekturgalerie befand, die versuchte, den Diskurs über besseres, ästhetisch ambitionierteres und zugleich an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtetes Bauen in die Stadt zu tragen, kann man jetzt Teller mit dem Design der Warhol’schen Madonna erwerben.

Vom Varieté zum Zirkus

Gehalten immerhin hat sich das Chamäleon Theater. 1990 räumten ein paar Enthusiasten den alten Festsaal im zweiten Stock des Quergebäudes frei und machten im Februar 1991 provisorisch ein Varieté auf. Das Publikum strömte, aus den umliegenden besetzten Häusern, aus der wachsenden Galerieszene, internationales Partyvolk. Die Mitternachtsshows wurden zum Nonplusultra – erst ins Chamäleon, danach in Technoklubs wie Tresor und WMF. Das Berghain gab es damals noch nicht.

Mit den Jahren hat sich das Chamäleon gewandelt. An die Stelle von Varieté ist zeitgenössischer Zirkus getreten: eine Fusion aus Narration und Akrobatik. „Nicht mehr das Spektakel steht im Vordergrund. Vielmehr dient das artistische Können der Geschichte, die an dem Abend erzählt wird“, beschreibt Anke Politz, seit mittlerweile einer Dekade künstlerische Leiterin des Chamäleon, gegenüber taz die Charakteristika von zeitgenössischem Zirkus.

Aktuell tritt hier der französische Cirque Le Roux mit seiner Show „The Elephant in the Room“ auf. Man sieht Menschen in Kostümen, die an die Gründungsjahre der Hackeschen Höfe vor mehr als hundert Jahren erinnern, Handstände vollführen und Salti schlagend durch die Luft des historischen Festsaals fliegen. Erzählt wird die Geschichte von Miss Betty, die dem Luxus zu entkommen versucht und Abenteuern aller Art zugeneigt ist.

Getreu seiner Geschichte als Pionierinstitution in den Hackeschen Höfen versucht das Chamäleon auch, das noch recht junge Genre des zeitgenössischen Zirkus auf stabilere Füße zu stellen. Ein Residenzprogramm wird entwickelt. Die Gastspielreihe „Play“ gibt jüngeren Künst­le­r*in­nen Aufführungsmöglichkeiten. Zudem ist das Chamäleon Mentor an der Staatlichen Artistikschule in Berlin. Das alles ist ein Zeichen, dass der alte Geist noch lebt, auch in edel restaurierter Umgebung.

Nebenan das alte Berlin

Wer noch mehr Atmosphäre des Berlin der 1990er Jahre einatmen will, muss eine Hofeinfahrt weiter gehen. Am Café Cinema vorbei, noch 1990 kurz vor der Wiedervereinigung eröffnet, biegt man in den schmalen Schlauch der hintereinander gestaffelten Höfe der Rosenthaler Straße 39 ein. An den rohen Hauswänden befinden sich zahlreiche Graffiti und dicke Schichten aus Plakaten der letzten drei Jahrzehnte – eine Art Freiluftmuseum für die Anar­chie der Nachwendezeit in Berlin-Mitte.

Auch so eine Volte der Geschichte ist, dass sich dort tagsüber inzwischen mehr Touristen aufhalten als im benachbarten großen Hofareal.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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