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„Künst­le­r*in­nen haben eine starke Stimme für ihr Land, für Demokratie“

Kampnagel-Intendantin Amélie Deuflhard erklärt, welche Rolle Theatern im Krieg zukommen sollte und wie sie Geflüchteten durch künstlerische Arbeit helfen können

Interview Katrin Ullmann

taz: Frau Deuflhard, herzlichen Glückwunsch zum Theaterpreis Berlin! Spenden Sie das Preisgeld an geflüchtete ukrainische Künst­le­r*in­nen?

Amélie Deuflhard: Was ich mit dem Preisgeld machen werde, weiß ich noch nicht. Ich werde bestimmt etwas davon spenden, aber mit einem Teil mache ich auch etwas anderes.

Welche Verbindungen haben Sie in die Ukraine?

Meine wirksamste Kontaktperson ist eine ukrainische Mitarbeiterin, Mariia Vorotilina, die seit vier Jahren bei uns in der Kommunikationsabteilung arbeitet. Und im K3 Zentrum für Choreographie, dem Kampnagel angegliederten Kompetenzzentrum für zeitgenössischen Tanz, haben wir mit Daniella Preap seit zwei Wochen eine Residentin aus der Ukraine. Nach und nach baut sich so ein Kontaktnetz auf und wir haben schon mehrere Programme entwickelt.

Welche?

Wir knüpfen gerade an die Corona-Hilfsmaßnahmen an und wenden sie jetzt direkt auf geflüchtete Künst­le­r*in­nen aus der Ukraine an. Während der Pandemie haben wir im Bündnis der internationalen Produktionshäuser zum Beispiel das Programm „Voices“ entwickelt, mit dem wir auf der Website des Bündnisses kleine Beiträge von Künst­le­r*in­nen aus aller Welt gesammelt haben. Das haben wir jetzt wieder aufgelegt für Stimmen aus der Ukraine, was quasi ein „Living War Archive“ ist. Diese „Stimme“ kann ein kurzer Text sein, ein Gedicht oder Fotos. Für diese Beiträge wird jeweils ein Honorar von 300 Euro überwiesen. In der Ukraine sind 300 Euro mehr als ein Monatsgehalt. Das ist trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ein total unbürokratisches und schnelles Tool. Und darüber sind wir auch schon mit vielen Künst­le­r*in­nen verschiedener Sparten in Kontakt gekommen.

Gibt es auch längerfristige Pläne?

Wir wollen ein Stipendienprogramm für geflüchtete Künst­le­r*in­nen schaffen. Es soll nicht groß, sondern vor allem nachhaltig sein. Es bringt nicht viel, wenn man sagt, ihr bekommt hier für zwei Monate Geld und dann tschüss! Es ergibt mehr Sinn, wenn man Stipendien für sechs oder acht Monate schafft, damit die Sti­pen­dia­t*in­nen auch die Ruhe haben, sich in einem neuen Umfeld zu orientieren, Kontakte zu knüpfen und dann zu überlegen, was sie machen wollen. Wenn man Menschen, die aus einer Kriegssituation kommen, aufnimmt, ist so ein Programm nur sinnvoll, wenn man die Künst­le­r*in­nen hier auch vernetzt, ihnen Raum für Projekte und künstlerische Zukunftsperspektiven gibt.

Wie sollen diese Residenzen finanziert werden?

Hauptsächlich mit Bundesmitteln. Dazu hatten wir vom Bündnis der internationalen Produktionshäuser gerade einen Termin mit dem Fonds Darstellende Künste und reden auch mit dem Staatsministerium für Kultur, dem Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt. Mit der Hamburger Kulturbehörde und verschiedenen Hamburger Stiftungen sind wir auch im Austausch. Ich finde es wichtig, dass wir die Maßnahmen zusammenziehen und halbwegs strukturiert handeln und nicht jeder sein eigenes kleines Ding macht.

Amélie Deuflhard

62, ist seit 2007 künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin von Deutschlands größter freien Spiel- und Produktionsstätte der Darstellenden Künste, der ehemaligen Maschinenfabrik Kampnagel in Hamburg.

Schon 2014 hatte sich die Spielstätte unter ihrer Leitung für illegalisierte Geflüchtete engagiert: Unter dem Titel EcoFavela Lampedusa Nord öffnete sie sich ihnen als Lebens- und Aktionsraum.

Am 6. Mai erhält Deuflhard den mit 20.000 Euro dotierten Theaterpreis Berlin. Geehrt wird laut Jury ihr Einsatz für „Professionalisierung, Besser-Finanzierung und ästhetische Selbstentzündung“ der freien Szene.

Es ist vermutlich nicht ganz einfach, strukturiert und gleichzeitig schnell zu handeln …?

Meine Hoffnung ist, dass wir während der Coronazeit dieses schnelle und unbürokratische Handeln gelernt haben. Das spielt uns in dieser erneuten Krisensituation – das soll jetzt auf keinen Fall zynisch klingen – ein bisschen in die Hände; dass wir erprobt sind im Nothilfe-Bereich. Es ist natürlich wichtig, die Menschen erst mal aufzunehmen und mit dem Nötigsten zu versorgen. Aber wenn sie dann in temporären Unterkünften sind und nicht wissen, wo sie mit ihrer Arbeit anknüpfen können, kommen sie nicht weiter. Wichtig ist, dass sie hier Fuß fassen, Kontakte aufbauen und mit ihrer künstlerischen Arbeit auch wieder eine Stimme bekommen.

In Russland gab es Rücktritte von Künst­le­r*in­nen an staatlichen Institutionen …

Ich verstehe, dass man in Russland als Künstler in einer leitenden Position in einer öffentlichen Institution nicht arbeiten möchte. So ein Rücktritt hat auf jeden Fall international eine große Wirkung. Ob es in Russland eine Wirkung hat, da habe ich meine Zweifel.

Bis vor kurzem kannte kaum jemand die Farben der ukrainischen Fahne. Mittlerweile sind die Solidaritätsbekundungen nicht nur an den Theatern groß.

Die große Solidarität nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Teilen der Welt finde ich super wichtig. Vielleicht hat sie einen Einfluss auf die russische Bevölkerung. Ich kann mir in Zeiten von Internet und Social Media, nicht vorstellen, dass in Russland nicht bekannt ist, was gerade passiert. Nach den neuesten Äußerungen von Putin kann man leider nicht optimistisch sein. Klar müssen wir da protestieren. Da sehe ich gerade uns Kulturinstitutionen mit unserer großen Reichweite in der Pflicht, die Menschen zum Protest zu bewegen.

Vor kurzem wurde ein ukrainisches Theater, das als Schutzbunker fungierte, bombardiert …

„Wir haben gesagt, das Theater muss wie ein Ort sein, an dem Geflüchtete sicher sind. Das war mehr Behauptung als Realität, aber es hat funktioniert“

Als 2015 viele Menschen vor allem vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen sind, hatten wir das Kunstasyl ausgerufen: Wir haben gesagt, das Theater muss genauso wie eine Kirche ein Ort sein, an dem Geflüchtete sicher sind. Das war mehr Behauptung als Realität, aber es hat funktioniert. In der Ukraine sind Theater zum realen Schutzraum geworden. Diese Orte zu bombardieren, ist problematisch. Aber Bomben werden dort gerade auch auf Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen geworfen … Es macht einen fassungslos. Was man aber in Bezug auf das Theater sieht, ist, dass Kunst immer nahe am Widerstand ist. Künst­le­r*in­nen haben eine Stimme, eine starke Stimme für ihr Land, für Demokratie, gegen soziale Ungleichheit. Viele Künst­le­r*in­nen sind auch Krisenexpert*innen, gerade, wenn sie sich in ihren Arbeiten mit der Gegenwart und den gesellschaftlichen Realitäten beschäftigen. In Krisenzeiten sind deren Stimmen super wichtig.

Was wäre Ihr Appell an die Menschen in Deutschland, in Hamburg?

Ich möchte, dass es möglichst viel soziales und finanzielles Engagement gibt. Dass wir als demokratische Gesellschaft zusammenstehen und gleichzeitig allen Menschen gegenüber offen sind, die nach Deutschland zuwandern – aus welchen Gründen auch immer. Es wird viel über die Diversität geredet, aber wir müssen weiter ernsthaft daran arbeiten, dass die in allen gesellschaftlichen Bereichen sichtbar wird und wir diskriminierende Strukturen beseitigen. Insofern richtet sich mein Appell auch an die Politik, eine faire Migrationspolitik und Möglichkeiten, hier Fuß zu fassen, für alle Menschen zu entwickeln.

Können Sie sich vorstellen, in den Kampnagel-Hallen Geflüchtete aufzunehmen?

Wir haben das immer mal temporär gemacht, aber ehrlich gesagt sind wir dafür nicht ausgestattet. Aus meiner Sicht ist das auch nicht unsere Aufgabe. Da gibt es soziale Einrichtungen, die das besser können. Als Theatermacherin muss ich auch sagen, dass ich Bilder von Massenunterbringung von Geflüchteten gar nicht reproduzieren möchte. Ich möchte Bilder des Widerstands, der Hoffnung, des Aufbruchs, des Aktivismus schaffen. Und das tun wir auf Kampnagel mit der Kunst.

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