NGO-Referent zur Lage in der Ukraine: „Journalist*innen als Kriegspartei“

Im westukrainischen Lwiw wurde ein Zentrum für Pressefreiheit eröffnet. Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen über die Hintergründe.

Ein Journalist in einem Kriegsgebiet

Ein Journalist sucht am 6. März Schutz in Irpin, nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew Foto: Carlos Barria/reuters

taz: Herr Resch, Ihre Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat am Samstag ein Zentrum für Pressefreiheit im westukrainischen Lwiw eröffnet. Warum?

Christopher Resch: Wir wollten gerne Solidarität zeigen. Gleichzeitig haben wir auch ganz viel Unterstützung von Dritten angeboten bekommen, um als Mittelsmänner und -frauen zu den ukrainischen Jour­na­lis­t:in­nen vor Ort zu fungieren. Einzelpersonen, Institutionen und Organisationen wollten helfen und fragten uns an: Wie können wir unsere Hilfe zu denen bringen, die sie brauchen? Daraus ist die Idee zum Zentrum entstanden.

In einer Pressmitteilung beschreibt ROG das Zentrum als „physische und digitale Anlaufstelle für Reporter:innen“. Was bedeutet das konkret?

Vor Ort in Lwiw arbeiten wir mit einer ukrainischen Partnerorganisation zusammen, dem Institut für Massenmedien. Die haben wir gefragt, was die Jour­na­lis­t:in­nen vor Ort für einen Bedarf haben. Es kam vor allem die Bitte um Schutzausrüstung, die gerade sehr knapp ist. Das hängt vor allem damit zusammen, dass aktuell europaweit wenige ballistische Schutzplatten zur Verfügung stehen. Die fügt man vorne und hinten in die Schutzweste ein, damit sie Kugeln abfangen. Es ist auch sehr schwer, solche Schutzwesten in die Ukraine zu bekommen, weil sie teilweise als Kriegsgüter gelten. Das macht die Einfuhr ins Land komplizierter. Das Zentrum soll aber auch ein Raum sein, in dem es schnelles Internet gibt und in dem man Livestreams senden kann. Es soll eine Anlaufstelle sein, bei der sich Medienschaffende untereinander vernetzen. Und es soll Schulungsangebote geben zu den Themen persönliche Sicherheit und erste Hilfe.

An wen genau richtet sich das Angebot?

Vor allem an freie Jour­nalis­t:in­nen, an ukrainische, aber auch an internationale. Die fliegen teilweise ohne Versicherungsschutz ins Land und gucken, dass sie gute Storys ­mitbringen – so schrecklich das ist angesichts des Krieges. Die Schutz­ausrüstung ist vor allem für sie wichtig. Die fest angestellten Kolleg:innen, etwa bei deutschen Mediengruppen, sind in dieser Hinsicht besser ausgestattet.

ist Pressereferent im Berliner Team der internationalen Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen.

Wie wird das Zentrum finanziert?

Es gibt seit Kriegsbeginn einige institutionelle Spender. Mit dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung haben wir zudem ein Crowdfunding aufgesetzt. Da gab es von Anfang an große Spendenbereitschaft, auch und vor allem von vielen engagierten Einzelpersonen.

Wie ist die Situation für Jour­na­lis­t:in­nen in der Ukraine aktuell?

Es gibt noch keine große Fluchtbewegung aus dem Land. Innerhalb des Landes gibt es nach unseren Informationen wohl schon ein wenig Bewegung, weg von der ganz harten Frontlinie. Da sind auch noch einige Berichterstattende, aber es ist wirklich wahnsinnig gefährlich. Genaue Zahlen haben wir aber nicht.

Wie hat sich der Tod des US-Journalisten Brent Renaud auf die journalistische Arbeit vor Ort ausgewirkt?

Der Krieg ist auch ein Kampf um Informationen. Jour­na­lis­t:in­nen müssen deshalb damit rechnen, als Teil einer Seite betrachtet zu werden. Wenn eine Kriegspartei der Ansicht ist, dass ein:e Jour­na­lis­t:in auf der gegnerischen Seite steht, dann wird sie in deren Logik zum Ziel. Das ist dann die Rechtfertigung dafür, Medienschaffende anzugreifen. Obwohl das nach der Genfer Konvention als Kriegsverbrechen gilt. Die Zahl der verletzten und getöteten Kol­le­g:in­nen steigt aktuell. Das geschieht auch bewusst.

Wie kann Ihre Organisation in so einer Situation Einfluss nehmen?

Wir betrachten das Ganze vor allem mit Blick auf die Verantwortung der Auf­trag­geber:innen. Da gibt es die Kritik: „Die schönen Themen nehmt ihr immer gerne, aber dann lasst ihr uns im Kriegsgebiet alleine.“ In solchen Situa­tionen gehen wir als Organisation rein und sagen, dass sich da etwas verändern muss. Es muss für die Sicherheit der Jour­na­lis­t:in­nen gesorgt werden.

Können Sie sich vorstellen, das Zentrum in Lwiw zu verlagern, sollte die Lage vor Ort eskalieren?

Da müsste man dann gucken. Die Gefahr ist leider real.

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