Autorin über Zwangsehen: „Das erdrückt uns“

„Die ungeduldigen Frauen“ heißt Djaïli Amadou Amals neuer Roman. Mit ihm erzählt sie über das Grauen der Zwangsehe und die Last der Geduld.

Die Autorin Djaïli Amadou Amal

Djaïli Amadou Amal: Das „Ich“ ihres Romans fungiert als Stimme aller Frauen der Sahel-Zone Foto: Bruno Fert / Orlanda Verlag

taz: Frau Amal, warum erzählen Sie die drei Leben, deren Wege sich in Ihrem Roman kreuzen, aus der Ich-Perspektive?

Djaïli Amadou Amal: Ich wollte einen Roman über Gewalt gegen Frauen schreiben. Das hieß aber auch, die vielen Arten der Gewalt, in denen sie ausgesetzt sind, zu benennen. Dafür habe ich nach einer polyphonen Form gesucht. Zugleich war mir klar, dass ich auf ein Ich nicht verzichten könnte. Denn ich bin eine Frau aus dieser Region. Alles, was diese Frauen erleben, habe auch ich erlebt. Wir alle haben das erlitten. Das Ich der drei Frauen ist die Stimme aller Frauen der Sahel-Zone.

Und die sind zu ungeduldig?

Nein, wirklich nicht.

Der europäische Titel Ihres Romans ist also ironischer als der des Originals?

Es stimmt, in Kamerun hieß das Buch nicht wie in Frankreich „Les Impatientes“ oder wie in Deutschland „Die ungeduldigen Frauen“, sondern war als „Munyal – die Tränen der Geduld“ erschienen.

Djaïli Amadou Amalgeboren 1975 in Maroué, Nordkamerun, ist Autorin und Aktivistin: 17-jährig durch die Brüder ihres Vaters zwangsweise verheiratet, war sie dieser Ehe 1998 entkommen. Seither schreibt sie. Ihr 2012 gegründeter Verein „Femmes du Sahel“ kämpft für Frauenrechte. „Die ungeduldigen Frauen“ ist ihr dritter Roman. Seine 2017 Ur-Fassung trug ihr unter anderem den „Prix de la Presse Panafricaine“. Seit dem Schuljahr 2021 ist das Buch Pflichtlektüre in kamerunischen Gymnasien. In einer modifizierten erhielt es in Frankreich den „Prix Goncourt des lycéens“ und war auf der Short-List des „Prix Goncourt“.

Munyal bedeutet auf Ful „Geduld“ und bildet eine Art Refrain des Buchs, als Befehl und Rat an seine Protagonistinnen …

Ja. Man verlangt von ihnen so sehr, ihre Lage auszuhalten, dass sie an die Grenzen der Geduld kommen. Die Geduld selbst bricht in Tränen aus. Denn man verlangt von ihnen, zu duldsam zu sein. Die Keimzelle des Romans war tatsächlich ein Text, auf Ful, in meiner Muttersprache, der hieß: „Ratschläge eines Vaters an seine Töchter“. Nachdem ich den gelesen hatte, war mir klar: Wenn es ein einziges Wort gibt, das die Gewalt gegen Frauen definiert, das sie zeigt und das selbst zu einer Last für diese Frauen wird, dann ist es dieses ewige Munyal, Munyal. Es ist so schwer das zu tragen, so schwer. Zu schwer. Das packt dich am Hals, das würgt dich, das erdrückt uns.

Aber die Frauen im Roman fügen sich in die Verheiratung?

Nein, alle drei begehren auf. Schon dass sie alle drei sagen, nicht einverstanden zu sein, ist eine Revolte. In unserer Kultur ist es Blasphemie, zu sagen: Ich ertrage es nicht! Und alle drei entkommen auch dem System, auf ihre Weise. Die erste flieht, die zweite, der das nicht gelingt, schließt sich in ihre Krankheit ein.

Begegnung mit der Autorin Djaïli Amadou Amal, französisch-deutsche Lesung, Institut français, Bremen, Contrescarpe 19, 17. 3., 19 Uhr. Anmeldung erbeten unter: kultur.bremen@institutfrancais.de

Leipzig: Institut Français, Fr. 18. März, 10.45 und 20 Uhr

Karlsruhe: Gedok, 20.3., 11 Uhr, Anmeldung erforderlich: Tel. 07 21 / 37 41 37 oder gedok-karlsruhe@online.de

Freiburg: Centre Culturel Français Freiburg, 21.3., 19.30 Uhr, Anmeldung erforderlich: kultur@ccf-fr.de

Frankfurt a.M.: Buchhandlung Weltenleser, 22.3., 19.30 Uhr Anmeldung erwünscht: info@weltenleser.de oder per Telefon 069/91507210

Djaïli Amadou Amal: „Munyal, les larmes de la patience“, Alliance internationale des éditeurs indépendants, 146 S., 3.00 FCFA (rund 4,60 Euro)

Djaïli Amadou Amal: „Les Impatientes“, Emmanuelle Collas, 240 S., 16,30 Euro / Kindle 7,49 Euro

Djaïli Amadou Amal: „Die ungeduldigen Frauen“, ins Deutsche übersetzt von Ela zum Winkel, Orlanda-Verlag, 176 S., 18 Euro

Sie bricht zusammen.

Auch das ist eine Art Flucht. Und die dritte wird superböse, um ihre Ziele zu erreichen.

Naja, sie verteidigt ihre Privilegien als Erstfrau: Das System der Polygamie stabilisiert sich also durch die Rivalität seiner Opfer. Gibt es keine Frauensolidarität?

Einige Frauen sind immer Komplizinnen – bei Zwangsheiraten, im System der Polygamie oder in Fällen häuslicher Gewalt. Das ist die Rolle der Mütter in meinem Roman: Sie wissen, was es bedeutet, was ihren Töchtern angetan wird. Sie leiden darunter auch. Aber sie führen es fort – nicht aus Bosheit, sondern aus einer Idee der Überlieferung heraus. Sie glauben, schlechte Mütter zu sein, wenn sie nicht alles, was sie selbst empfangen haben, an die Töchter weitergeben.

Als ideelles Erbe?

Das ist der Grund, weshalb diese Traditionen überdauern. Das tun nicht nur die Männer den Frauen an. Aber die Welt hat sich geändert. Die Mädchen haben Zugang zu Bildung und zu Medien. Sie können lesen, sie sehen fern, sie haben Internet. Sie sind zwar von den Traditionen ihres Volkes durchdrungen, aber träumen auch von etwas anderem. Und das verstehen ihre Eltern nicht.

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