„Von Dummköpfen an die Wand gefahren“

Nachdem ein Kölner Gericht die Einstufung als „Verdachtsfall“ billigt, übt sich die AfD in Durchhalteparolen. Aber in der Partei herrscht Unruhe, für Beamte wird‘s ungemütlich

Zerknirscht: Tino Chrupalla in Köln, 8. März 2022 Foto: Federico Gambarini/dpa

Aus Köln Christian Rath
und Konrad Litschko

Tino Chrupalla gab sich zerknirscht. Das Urteil habe ihn „überrascht“, sagte der AfD-Chef. Man teile die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht. Und natürlich sei er enttäuscht. „Ist ja ganz klar.“ Man werde das Urteil nun „sorgsam“ prüfen und über Rechtsmittel beraten.

Tatsächlich markiert die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln eine erneute Zäsur für die AfD. Am späten Dienstagabend hatte das Gericht nach zehnstündiger Verhandlung entschieden, dass die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtmäßig ist. Es gebe „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“. Dazu zähle ein „ethnisch verstandener Volksbegriff“, aus dem „Fremde“ möglichst ausgeschlossen werden sollten.

Die Materialsammlung des Bundesamtes dazu sei „nicht zu beanstanden“, so das Gericht. Belastende Äußerungen seien nicht aus dem Zusammenhang gerissen. Die Einstufung als Verdachtsfall erfordere keine sichere Gefahr, es genüge ein Gefahrverdacht. „Wenn es im Erdreich nach Öl riecht, ist eine Probebohrung erlaubt“, sagte Richter Michael Huschens.

Für Chrupalla und seine AfD stehen nun wiedermals wegweisende Wochen bevor. Bereits im Januar hatte der langjährige Vorsitzende Jörg Meuthen die Partei verlassen und eine Radikalisierung der AfD beklagt – die er indes lange mitbefeuerte. Nun gibt es auch einen gerichtlich abgesegneten Rechtsextremismusverdacht. Und für Beamte in der Partei stellt sich verschärft die Frage, wie lange sie noch in der Partei bleiben können.

Punktgenau ab Mittwoch traf sich die AfD-Bundestagsfraktion zu einer Klausur im Thüringischen Oberhof. Diskutiert werden sollte etwa die Positionierung zur Russlandinvasion in der Ukraine, welche die Partei bisher mild kommentierte. Nun aber ging es auch um das Kölner Urteil. Nach draußen drang wenig. Und Chrupalla erklärte, man werde sich weiter „mit aller Kraft für eine alternative Politik einsetzen“.

In der Partei aber herrscht Unruhe. Neben Meuthen gab es zuletzt weitere Austritte, die Mitgliederzahl liegt wieder unter 30.000. In der Partei klammerte man sich an einen Teilerfolg: Denn das Gericht hatte auch entschieden, dass der Verfassungsschutz nicht mehr den 2020 formal aufgelösten Flügel als rechtsextreme Bestrebung bewerten dürfe, weil nicht belegt sei, dass dieser noch existiere. Und auch sonst bleibe die Partei ja nur ein Verdachtsfall, erklärte etwa Bayerns AfD-Fraktionschef Ulrich Singer. Einer der Abtrünnigen, Uwe Junge, einst Fraktionschef in Rheinland-Pfalz, ätzte aber: Die Partei werde „von radikalen Dummköpfen an die Wand gefahren“. Und Chrupalla sei „ein Amateur im Höhenflug“.

Auf der anderen Seite gab sich Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang erleichtert: „Das ist ein guter Tag für die Demokratie.“ Sein Amt könne nun bald „den Besteckkasten auspacken“. Noch muss der Verfassungsschutz das Ende des Eilverfahrens vor dem Gericht und mögliche Rechtsmittel der AfD abwarten. Dann aber kann er systematisch Informationen über die Partei erheben, Personenakten anlegen, Kommunikation überwachen oder V-Leute anwerben.

Rekrutierungsprobleme sind nicht zu erwarten. So hieß es vor einiger Zeit aus Sicherheitskreisen, dass sich AfD-Aktive selbst als Spitzel angeboten hätten. Der Brandenburger Verfasssungsschutzchef Jörg Müller erklärte offen, er könne sich „über die Zugangslage nicht beklagen“. Haldenwang betonte aber auch die gebotene Verhältnismäßigkeit. So sind direkte Parlamentsaktivitäten von AfDlern für sein Amt tabu. Wenn aber Abgeordnete wie zuletzt in Bayern in privaten Chats über einen Bürgerkrieg schwadronieren, sieht das schon wieder anders aus.

Brenzlig für die AfD ist auch die Lage der Beamten in der Partei – Polizist:innen, Sol­da­t:in­nen oder Lehrer:innen. Der Beamtenbund wurde am Mittwoch bereits deutlich. „Wer nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat im öffentlichen Dienst nichts zu suchen“, erklärte eine Sprecherin. Die AfD-Einstufung als Verdachtsfall erlaube aber weiter kein pauschales Vorgehen gegen Beamte. Es bedürfe Einzelfallnachweisen, dass die Person nicht vorbehaltslos zum demokratischen Rechtsstaat stehe. Erst bei einer höchstrichterlich festgestellten Verfassungsfeindlichkeit seien automatische Disziplinarverfahren möglich.

Josef Schuster vom Zentralrat der Juden betonte, mit der Einstufung werde nun „das wahre Gesicht der AfD, das vielfach Züge einer rechtsextremen Fratze trägt, endgültig sichtbar“. Die politische Auseinandersetzung mit der AfD dürfe jetzt nicht enden, „sondern muss nun erst recht mit Verve geführt werden“.

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