Der Dirigent, den ich rief

Chefdirigent der Münchner Philharmoniker zu sein und gleichzeitig ein Freund des russischen Präsidenten? Geht nicht, findet Münchens Oberbürgermeister und schickt Waleri Gergijew in die Tundra

Mehrfach im Jahr treffe er Putin, erzählte Gergijew einmal. Kurz vor seinem 60. Geburtstag verlieh ihm der russische Präsident einen Staatsorden samt dem Titel „Held der Arbeit“ Foto: Itar Tass/imago

Von Dominik Baur

Putin oder internationale Karriere: Der russische Dirigent Waleri Gergijew musste sich entscheiden. Denn seine westlichen Auf­trag­ge­be­r – und davon hat Gergijew eine ganze Menge – wollen plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Der Grund: Gergijew ist ein Freund Wladimir Putins, ließ sich von diesem bereits einen Staatsorden anheften und unterstützt dessen Politik. Das hat ihn nun seinen Posten als Chefdirigent bei den Münchner Philharmonikern gekostet.

„München trennt sich von Chefdirigent Valery Gergiev“, ließ Oberbürgermeister Dieter Reiter am Dienstag vermelden. Gergijew habe sich trotz der Aufforderung, sich „eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren“, den Putin gegen die Ukraine und auch gegen Münchens Partnerstadt Kiew führe, nicht geäußert. Ein solches Signal wäre aber, so Reiter, für eine weitere Zusammenarbeit unabdingbar gewesen.

Zuvor hatte bereits das Schweizer Verbier-Festival Gergijew als Musikdirektor gefeuert, das Lucerne Festival ihn ausgeladen. Andere Konzert- und Opernhäuser wie die Mailänder Scala sollen ebenfalls Ultimaten gestellt haben. Sogar seine Künstleragentur hat den Dirigenten jetzt rausgeschmissen.

So stellt sich die Frage: Wie politisch darf, muss, kann ein Künst­le­r sein? Und darf er sich wie eine Privatperson einer politischen Positionierung entziehen? Zumal wenn dies in der Vergangenheit nicht immer der Fall war?

Der 1953 in Moskau geborene Gergijew war nun nicht der Dirigent, für den es nur seine Musik gab und der sich von allen politischen Sphären fernhielt. Er gab sich stets als russischer Patriot, ergriff etwa 2008 im Konflikt zwischen Russland und Georgien für Putins Vorgehen Partei und gab im besetzten Südossetien ein „Siegeskonzert“. Russlands homosexuellenfeindliche Gesetze soll er verteidigt haben. Und in einem offenen Brief russischer Kulturschaffender verteidigte er die Annexion der Krim. Und auch die russische Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien fand seine Zustimmung: Als russische und syrische Truppen gemeinsam die Stadt Palmyra erobert hatten, gab er auch dort im Amphitheater ein Konzert. Alles in allem also ist dieser Gergijew, zumindest politisch gesehen, ein höchst unangenehmer Zeitgenosse.

Nur ist all dies bislang nicht unbekannt gewesen. Gestört hat es freilich wenige, Konsequenzen hatte es nicht. Böse könnte man sagen: Wen interessiert schon, mit wem der Mann Wodka säuft, wenn er seinem Orchester einen solchen Tschaikowsky entlockt? Gergijew war in den Konzertsälen des Westens stets gern gesehen – und gehört. In München sowieso.

Nun hat die vielbeschworene „Zeitenwende“ also auch Gergijew erfasst, der seit 2015 Chefdirigent in München ist. Reiter hatte ihm am Freitag ein Ultimatum gestellt: Wenn er sich nicht von Putins Krieg distanziere, werde er fliegen. Das Ultimatum, so der kulturelle Oberbefehlshaber der bayerischen Landeshauptstadt, laufe in der Nacht zum Dienstag, Punkt Mitternacht, ab.

Eine öffentliche Gesinnungsprüfung quasi. Wie überzeugend ein Anti-Putin-Statement von Gergijews Seite freilich gewesen wäre, so er es denn abgegeben hätte, mag man lieber dahingestellt lassen. Er hat es nicht getan, er hat sich eben nicht geändert. Das kann und muss er sich vorwerfen lassen. Im Umkehrschluss heißt es aber eben auch, dass er schon damals, als er 2015 seinen Job in München antrat, derselbe war wie heute. Und das wiederum kann und muss sich – ja, wer muss sich das vorwerfen lassen?

Entschieden hatte sich, schon im Januar 2013, das Orchester selbst für Gergijew, bestätigt wurde die Berufung vom Stadtrat. Proteste? Gab es, doch folgten darauf lediglich eine verunglückte Pressekonferenz und ein Gespräch mit dem Kulturreferenten. „Ich bin ein vielbeschäftigter Künstler“, redete sich der Dirigent damals raus, „ich gehöre nicht zur Duma, ich gehöre nicht zur Regierung.“ Der Stadt schien die Erklärung zu genügen. Man hörte gern hin, wenn Gergijew die Hände hob – einen Taktstock benutzt er nie – und genauso gern weg, wenn es um seine politischen Freunde ging.