piwik no script img

Mehr Solarstrom, mehr Solarmüll

Photovoltaik-Anlagen werden für die Stromerzeugung immer wichtiger. Recycelt werden bislang aber nur wenige Bestandteile. Ein Forschungsprojekt zeigt Lösungen auf

Von Heike Holdinghausen

Noch sind sie nicht da, die großen Mengen, aber sie werden kommen. All die Photovoltaik-Anlagen (PV) auf Scheunen- und Hausdächern werden in den nächsten Jahren nach und nach ausgemustert und ausgetauscht, weil sie ihre Leistungsfähigkeit nach rund 20 Jahren verlieren. Insgesamt rund fünf Millionen Tonnen Glas, Kunststoff und Metall waren 2021 hierzulande installiert, darunter 150.000 Tonnen Silizium, als Halbleitermaterial Hauptbestandteil von Solarzellen.

Auf die Frage „Wohin damit, wenn es Schrott wird?“ hat ein Forschungsprojekt jetzt Antworten gegeben: Beteiligt sind das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP in Halle an der Saale, das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und der größte deutsche Recycler für PV-Module, die Reiling GmbH & Co. KG aus dem westfälischen Marienfeld. Gemeinsam haben sie ein Verfahren entwickelt, mit denen sich erstens das Glas aus den Modulen hochwertiger recyceln und zweitens auch das enthaltene Silizium und Silber zurückgewinnen lässt. Bislang werden nur Alu, Glas und Kupfer recycelt, die Silizium-Solarzellen hingegen werden verbrannt und landen als Schlacke etwa im Straßenbau.

„Bis Ende der 20er Jahre werden die Mengen an Altmodulen aus Photovoltaik-Anlagen von jetzt etwa 10.000 Tonnen auf mehrere 100.000 Tonnen pro Jahr anwachsen“, sagt Peter Dold, Leiter der Abteilung Labor für Kristallisationstechnologie am hallischen CSP, „bis dahin müssen wir in der Lage sein, die Module im industriellen Maßstab zu verwerten“. Das Material sei „verfügbar, ungiftig und robust“, sagt Dold, „somit ist es für Recycling-Prozesse gut geeignet.“ Das Problem: Glas, Folien und Metalle sind so fest miteinander verbunden, dass sie die Belastungen durch Witterung überstehen und bei Temperaturen von minus 30 bis plus 80 Grad Celsius zusammenhalten. Sie wieder zu trennen, ist anspruchsvoll. „Wirtschaftlich ist es nur sinnvoll, wenn hinterher Glas und Silizium in reiner Form sowie die wertvollen Metalle Kupfer und Silber dabei herauskommen“, so Dold.

Dazu werden die Module zunächst in ihre Bestandteile zerlegt, die Metallrahmen abgenommen, Anschlussdosen und Kabel entfernt. Schon das ist herausfordernder, als es klingt. „Auf unseren Dächern sind Tausende verschiedener Modul-Typen verbaut“, sagt Benedikt Heitmann, Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung bei Reiling, „ob und wie sich die Module recyceln lassen, hat bei ihrer Entwicklung kaum eine Rolle gespielt, da ging es eher um Effizienz, Sicherheit, Garantien“.

Darum habe jetzt jedes Modul seine Eigenheiten, Materialzusammensetzung oder Klebetechniken unterschieden sich. Bei dem einen sitze die Anschlussdose in der Mitte, bei dem anderen am Rand. „Für uns bedeutet das, dass Mitarbeiter die Dosen eventuell händisch entfernen oder das Modul mehrmals in die Recyclinganlage einlegen müssen“, sagt Heitmann. Diese Eigenheiten erschwerten die automatisierte Umsetzung einer Massenproduktion, bei der mehrere Tonnen pro Stunde recycelt werden soll.

Eine aufsteigende Branche

Wachstum Im Jahr 2021 sind laut Bundesverband Solarwirtschaft 240.000 Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 5,3 Gigawatt in Betrieb gegangen. Der Anteil an Solarstrom in Deutschland lag 2021 laut Statistischem Bundesamt bei 8,8 Prozent – vor zehn Jahren betrug er noch 3,2 Prozent. Nach Plänen der Bundesregierung sollen bis 2030 jährlich Anlagen für 20 Gigawatt Solarstrom zugebaut werden.

Recycling Kaputte PV-Module sind Elektroschrott, der nicht exportiert werden darf. Bislang ist der Markt für Solarmüll-Recycling klein, mit einer Handvoll Marktteilnehmern. Perspektivisch könnten sich Recycling-Unternehmen aus dem Elektroschrott-, Schrott- und Flachglasbereich für das Thema interessieren. (taz)

Bislang werden die PV-Module, die bei Reiling auseinandergenommen werden, noch in einer Anlage für Flachglas-Recycling behandelt, in der auch etwa alte Autoscheiben landen. Ab einer Menge von etwa 10.000 Tonnen Material pro Jahr lohne sich die Investition in eine eigene Anlage, so Heitmann. Diese könne das Glas und weitere Wertstoffe dann so behandeln, dass es nicht, wie bislang, zu Dämmstoffen wie Schaumglas verarbeitet werden müsse, sondern wieder zu hochwertigem Flachglas.

Die Rückgewinnung von Silizium, Silber und Kupfer werden Firmen übernehmen, die sich auf Metallschmelze spezialisiert haben. Bislang wurde das Verfahren allerdings nur in den Laboren von Fraunhofer getestet: Dabei wurde das Glas-Silizium-Silber-Gemisch auf eine Korngröße von unter einem Millimeter sehr fein zermahlen, mittels physikalisch-mechanischer Verfahren Glas von Metall getrennt und schließlich, in einem zweiten, chemischen Schritt Silizium, Silber, Blei und Kupfer abgeschieden und in reiner Form zurückgewonnen.

Das Silber sei für die Schmelzen natürlich der wertvollste Stoff, sagt Dold, „doch es gibt auch einen Markt für recyceltes Silizium“, ist sich der Wissenschaftler sicher. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erwartet zwar auch bei „denkbar maximal steigender Nachfrage nach Rohsilizium weltweit keine Versorgungsengpässe mit Siliziumrohstoffen“. Doch, wie bei anderen Rohstoffen auch, hat sich der Preis für hochreines Silizium in China im vergangenen Jahr verdreifacht.

Die Rückgewinnung sei auch ökologisch sinnvoll, so Dold: „Um aus Quarzkiesen Silizium in der nötigen Reinheit zu beziehen, ist eine komplexe, mehrstufige Raffination notwendig“. Der Energieeinsatz liege bei mindestens 10 bis 20 Kilowattstunden pro Kilogramm hochreines Silizium – entsprechend groß sei der CO2-Ausstoß. „Da liegen wir mit unserem Prozess weit drunter“; bei einem steigenden CO2-Preis ist das auch ökonomisch interessant.

Aktuell sind in Photovoltaik-Anlagen in Deutschland allein 150.000 Tonnen Silizium verbaut

„Es entspricht dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft, eingesetztes Material möglichst dauerhaft und hochwertig zu verwenden“, und zwar, so Dold, „möglichst in Europa“. Es ergebe wenig Sinn, die Module hier zu recyceln und das gewonnene Material dann nach China zu exportieren, um dort neue Module zu produzieren.

Auch für ein erfolgreiches Recycling seien kurze Kommunikationswege hilfreich, sagt Fachmann Heitmann. „Wir haben zwar nur noch wenige Hersteller in Deutschland und Europa“, sagt er, „aber mit ihnen tauschen wir uns darüber aus, wie Solarmodule in Zukunft so entwickelt und gebaut werden können, dass sie sich optimal und preiswert recyceln lassen“. Allerdings: Dazu müssen die Module auch bei den Recycling-Unternehmen landen. Wie in vielen Bereichen des Elektroschrotts, gibt es auch bei PV-Anlagen ein Erfassungsproblem.

Im vergangenen Jahr forderte die Deutsche Umwelthilfe zusammen mit Unternehmen der Branche in einem „Weißbuch“, die Sammelstrukturen zu verbessern und vor allem illegale Exporte nicht mehr funktionstüchtiger Module zu verhindern. Denn wenn alte Module in Ländern ohne Recycling-Strukturen auf Müllkippen landen, nützt die beste Forschung und Entwicklung hierzulande nichts.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen