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Impfpflicht wird konkreter

Nun haben die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie soll ab 1. Oktober gelten und drei Impfungen umfassen. Die Union stellt einen Mechanismus vor, der eine Abstimmung erst bei Gefahr auslöst

Von Anna Lehmann und Sabine am Orde

Wer dreimal geimpft ist, ist durch. Alle anderen müssen ab 1. Oktober mit Bußgeldern rechnen. Das sieht ein Gesetzentwurf für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren vor, den eine Gruppe von sieben Bundestagsabgeordneten am Freitag vorgestellt hat. Es ist der erste fraktionsübergreifende Gruppenantrag für eine Impfpflicht. Ein weiterer für eine Ü-50-Impfpflicht wird in der nächsten Woche erwartet. Bislang lag nur ein einziger ­Antrag gegen eine Impfpflicht vor.

Die Be­für­wor­te­r:in­nen einer allgemeinen Impfpflicht für alle um Dirk Wiese und Dagmar Schmidt (SPD), Janosch Dahmen (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) haben drei Argumente: Es werde eine künftige Überlastung des Gesundheitssystems verhindert. Das Risiko der Entstehung neuer Virusmutationen werde vermindert. Und das trage dazu bei, dass auf anderweitige Schutzmaßnahmen und Grundrechtseingriffe „möglichst verzichtet werden kann“, wie es im Entwurf heißt.

Also keine Schulschließungen und keine Lockdowns mehr. „Wir wollen der Pandemie endlich nicht mehr hinterherlaufen, sondern vor die Welle kommen“, begründete Schmidt den Vorstoß.

Derzeit sind laut Robert-Koch-Institut knapp 85 Prozent der über 18-Jährigen mindestens doppelt geimpft und 64 Prozent geboostert. Die Quote reiche nicht aus, um die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens im kommenden Herbst und Winter einzudämmen, so Wiese & Co. Es sei nicht prognostizierbar, welche Virusvariante dann vorherrschend sein werde, „sodass ein perspektivisch unkalkulierbares Risiko besteht“.

Bevor die Pflicht greift, sollen die Krankenkassen – private und gesetzliche – ihre Versicherten bis Mitte Mai alle persönlich kontaktieren und über Beratungs- und Impfmöglichkeiten aufklären. Wer bis zum 1. Oktober keinen Impfnachweis erbracht hat, muss mit einem Bußgeld bis maximal 2.500 Euro rechnen.

Soweit die Theorie. Doch die ersten Krankenkassen – sie sollen die Nachweise sammeln – haben schon Protest angemeldet. In einer Pressemitteilung der Innungskrankenkassen heißt es, man lehne die Kontrolle und die Einbeziehung in Sanktionsverfahren entschieden ab. Unklar ist auch, welche Behörden dann dafür zuständig sind, Bußgeldbescheide auszustellen.

Die Gruppe der sieben Abgeordneten ist dennoch optimistisch für den Antrag eine Mehrheit zu bekommen. Man sei im konstruktiven Austausch mit vielen Abgeordneten aus fast allen Fraktionen auch aus der Union, so Dirk Wiese. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hat bereits bekannt gegeben, dass er den Entwurf für eine allgemeine Impfpflicht unterstütze.

Unterdessen hat die Unionsfraktion ebenfalls einen eigenen Entwurf für ein „Impfvorsorgegesetz“ vorgestellt. Danach soll es einen nach Personengruppen gestaffelten „Impfmechanismus“ geben, der erst greift, wenn die Coronalage sich weiter verschärft. Einen solchen Schritt hatte CDU-Chef Friedrich Merz bereits angekündigt, am Freitag stellten die Fraktionsvizes Andrea Lindholz (CSU) und Sepp Müller (CDU) den entsprechenden Antrag vor.

Wer bis zum 1. Oktober keinen Impfnachweis erbracht hat, muss mit einem Bußgeld bis maximal 2.500 Euro rechnen

Aktuell stehe die Fraktion einer allgemeinen Impfpflicht kritisch gegenüber, weil diese gegen die Omikron-Welle nichts mehr nütze und unklar sei, was der Herbst bringe, sagte Müller. Unter diesen Bedingungen sei eine allgemeine Impfpflicht derzeit rechtlich auch gar nicht möglich, ergänzte Lindholz.

Entscheidend dafür, wann der Impfmechanismus aktiviert werden soll, sei die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens. Geht es nach der Union, soll der Gesundheitsminister den Bundestag darüber alle zwei Wochen informieren. Klare Kriterien, wann der Impfmechanismus ausgelöst werden soll, benennt der Antrag nicht. Eine neue Variante, die so gefährlich wie Delta und so ansteckend wie Omikron sei, könne ein Grund sein, so Müller. Der Bundestag müsste dies dann beschließen, eine Impfpflicht könne dann mit einer kurzen Frist greifen. Unerlässlich sei zudem die Einführung eines Impfregisters und eine verstärkte Impfkampagne. Die beiden stellvertretenden ­Fraktionschefs gehen von einer weitgehenden Zustimmung unter den Unions-Abgeordneten aus.

Wann der Bundestag über alle Anträge beraten wird, ist derzeit ungewiss. Geplant war ursprünglich, das Thema schon in der nächsten Woche auf die Tagesordnung zu setzen. „An uns scheitert es nicht“, so Schmidt. Strack-Zimmermann ergänzte, es sei ein Gebot der Fairness, allen die Gelegenheit zu geben, ihre Anträge sauber auszuarbeiten. Wichtig sei, dass diese bis Mitte März vorlägen, damit bis Ende März eine Entscheidung falle. Sonst wird die Zeit für die Impfpflichtbefürworter sehr knapp.

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