Country versus Schlager: Waldorf und Statler an der Alster

Nicht ohne Triggerwarnung: Hamburgs Kultursenator und der örtliche Literaturhauschef legen gegeneinander Platten auf.

Blick auf Cowboystiefel

Diese Stiefel sind nicht nur zum Wandern Foto: picture alliance/dpa

Endlich wieder Publikum. Im vergangenen Jahr hatten sie darauf verzichten müssen und ins Leere gestreamt. Jetzt aber, kurz bevor der jüngste Coronagipfel durchaus umstrittene Lockerungen bescherte, durften wieder Zu­schaue­r:in­nen live dabei sein, wenn Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda und der Leiter des dortigen Literaturhauses Rainer Moritz sich streiten – oder zumindest so tun als ob.

Zum Plattenauflegen trafen sie sich am Dienstagabend schon zum fünften Mal, diese beiden Arbeitspferde nicht nur des hansestädtischen Kulturlebens. Brosda präsidiert neben seiner Behörde ja auch dem Deutschen Bühnenverband, Moritz schreibt Bücher sowie unter anderem für die FAZ, kritisiert auch mal im Radio. Echte Platten drehen sich bei diesen Zusammenkünften natürlich keine, selbst unter der Puttendecke des Literaturhaus-Festsaals hat das Playlist­zeitalter Einzug gehalten.

Idee der jährlichen Zusammenkunft von Anfang an: Moritz bringt Schlager mit, Bros­da Country. Ob diese beiden Genres Seelenverwandte seien oder nicht, darüber entbrannte gleich so was wie der erste kleine Streit zwischen den beiden gesetzten Herren. Dass sie mit dem Steckenpferd des anderen wenig anzufangen verstünden, diese Pose ist schon mal ein wichtiger Bestandteil des Konzepts. So geben sie eine Art Variation auf Waldorf und Statler, diese grantelnden Logenbewohner aus der „Muppet-Show“, wobei die natürlich nur selten selbst das Bühnenprogramm sind, über das sie umso lustvoller mosern. Moritz dabei etwas redseliger, Bros­da gerne auch mal nonverbal: Als Michael Holms „Tränen lügen nicht“ erklang, setzte er eigens mitgebrachte Noise-cancelling-Kopfhörer auf. Ebenfalls mitgebracht hatte er die Cowboystiefel von damals, aus dem Jahr Highschool.

Ein Thema haben diese Abende auch, diesmal sollte es um „Männer und Frauen“ gehen. Was erst mal sehr allgemein klingt, dann aber doch überraschend gut manch fundamentalen Unterschied zwischen den Genres offenzulegen ermöglichte: Zumindest in Brosdas Auswahl kennt der Country reichlich Frauen, die irgendwann merken, dass sie Besseres mit sich anfangen können, als auf irgendwelche blöden Typen Rücksicht zu nehmen. Im deutschen Schlager hingegen, wie er an diesem Abend dargeboten wurde, nun ja, müssen wir nach einer Subversion tradierter Geschlechterrollen etwas länger suchen.

Dass Moritz dann sogar „Triggerwarnungen“ aussprach – durchaus zur Erheiterung des ausverkauften Saals, Altersschnitt etwas höher als bei durchschnittlichen Lesungen –, das war die Koketterie des Shitpost-Zeitalters: Ja, manches Stück auf seiner Liste wie Vico Torrianis „Schön und Kaffeebraun“ oder Henry Valentinos „Im Wagen vor mir“ wäre heute nicht mehr als Single vorstellbar. Oder wenn, dann allenfalls im Gestus des Wird-man-doch-wohl-noch-singen-dürfen.

Auch Country hat natürlich seine zutiefst reaktionären Ecken. Aber an diesem Abend an der Hamburger Außenalster wirkten sie doch entschieden frischer, Brosdas innerlich unbehauste Stiefelträger mit ihren manchmal so lose sitzenden Colts.

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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