Geschenke zum Valentinstag: Romantik zum Abwinken

Am Valentinstag versuchen viele, kommunikative Unfähigkeiten durch Materielles zu kompensieren. Unser Autor ist daran bislang stets gescheitert.

Krapfen in Herzform mit Aufdruck "Sweet Heart"

Die Grenze von romantischem Geschenk zu absolutem Cringe ist schmal Foto: YAY Images/imago

Ich führe eine Liste mit romantischen Geschenken, für die ich Ablehnung erfahren habe. Ich denke, dass mein Vater daran schuld ist (wer sonst?). Ich denke, mein Therapeut würde das auch so sehen (er würde jetzt bestätigend nicken). Kommunikative Unfähigkeiten durch materielle Zuwendungen zu kompensieren, wer anderes sollte daran schuld sein als Väter? Ist das nicht geradezu die Love Language einer ganzen patriarchal erzogenen Vätergeneration?

Bei mir jedenfalls hat sich der Hang zur materiellen Liebesbekundung dergestalt vererbt, dass ich als Heranwachsender versuchte, romantische Zuneigung durch kleine „kreative“ Aufmerksamkeiten auszudrücken. Diese Vorhaben sind nahezu alle gescheitert. Mit Ansage. Mit Anlauf. Mit recht. Falls Sie also am Valentinstag, am Festtag der kommerziellen Romantik, derartiges im Sinn haben, machen Sie sich eines klar: Die Grenze von romantischem Geschenk zu absolutem Cringe ist schmal, fließend, schnell überschritten. Und wenn Sie sich dennoch dafür entscheiden, ein solches Wagnis einzugehen, lernen Sie zumindest aus meinen Fehlern.

Mein erstes Scheitern mit einem romantischen Geschenk begab sich in der Oberstufe des städtischen Gymnasiums. Ich verbrachte gerade viel Zeit mit Chatten, Schwitzen und erfolglosen Versuchen einer unblutigen Nassrasur. Außerdem war ich seit einiger Zeit in Dilara verliebt, die mir im Deutschunterricht ab und an ihren Tintenkiller auslieh. Irgendwann begannen wir auch via Messenger zu schreiben (über Hausaufgaben, Arbeitsblätter, „wie sehr man die Klausur verkackt hat xD“ etc.).

Ein ganz besonderer Liebesbeweis

Dilara war klüger als ich, ein Jahr älter und hatte ein Nasenpiercing. Sie war Fan vom Fußballverein Galatasaray Istanbul und der Unabhängigkeit Kurdistans. Auf Facebook beteiligte sie sich an Diskussionen auf Fußballseiten und beschimpfte in den Kommentaren mit Leidenschaft andere User:innen, die nicht ihrer Meinung waren. Wie sollte man sich da also nicht verlieben?

Da ich nun nicht in der Lage war, meine Gefühle verbal zu kommunizieren, entschied ich mich für einen „ganz besonderen“ Liebesbeweis. Ich überlegte Wochen, vielleicht Monate, wahrscheinlich ein ganzes Schuljahr, wie ich meine Verbundenheit angemessen demonstrieren konnte.

Der Geistesblitz war nun folgender: Ich verband ihre Interessen (Kurdistan & Fußball) zu einem einzigartigen, persönlichen Geschenk. Ein Geschenk, das vor Mut, Aufmerksamkeit und grenzenloser Cuteness nur so strotzen sollte: eine Autogrammkarte des Fußballers Eren Derdiyok.

80 Cent plus Versandkosten

Eren Derdiyok, damals Angreifer der TSG 1899 Hoffenheim (19 Spiele, 1 Tor), erlebte zu jener Zeit nicht gerade seine beste Karrierephase, sodass meine Autogrammkartenanfrage für alle Beteiligten (Derdiyok, Vereins-Fanshop, die zuständige Sachbearbeiterin) aus dem sprichwörtlichen Nichts kommen musste. Allerdings stammte er eben aus der Region, aus der auch Dilaras Eltern kamen. Die Verbindung war damit also glasklar. Derdiyoks größte Saisonleistung, so malte ich es mir aus, würde also darin bestehen, zwei Teenager-Seelen auf romantischste Weise zusammenzuführen, den Ball in Dilaras Herzen gefühlvoll zu versenken usw. usf. Ich bestellte die Karte auf der Seite tsg-hoffenheim.de für 0,80 Euro zuzüglich Versandkosten, packte sie in einen Umschlag und übergab ihn halb zerknickt, halb verschwitzt am letzten Schultag mit der Bitte, sie möge ihn erst zu Hause öffnen.

Was dann passierte, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Verdrängung ist hier das psychologische Zauberwort. Auch eine Eigenschaft, an der wahrscheinlich mein Vater schuld ist (mein Therapeut würde sich jetzt eilig Notizen machen). Jedenfalls sind wir nicht zusammengekommen und es war natürlich alles todespeinlich.

Das ist die Moral. Das sollten Sie sich merken. Selbst wenn es Ihnen im ersten Moment hochplausibel, geradezu genial erscheint, glauben Sie mir: Sie gewinnen keine Herzen mit der Autogrammkarte eines im Herbst seiner Karriere befindlichen, verletzungsanfälligen Bundesliga-Stürmers, der bei einem belanglosen Provinzclub unter Vertrag steht. Nehmen Sie Abstand von dieser Idee. Sie ist sehr schlecht.

Ein Überraschungs-Becher

Romantische Geschenke sind natürlich nicht per se zu verdammen. Geschenke mit dem Ziel, eine Person emotional für sich zu gewinnen, dagegen meistens schon. Sie sind sehr wahrscheinlich ziemlich peinlich und im schlechtesten Fall manipulativ. Denn sie setzen auf den Überraschungseffekt und haben den Hang zur Theatralik, zur ganz großen Geste. Sie wollen das Gegenüber mit erzwungener, emotionaler Wucht überwältigen, sodass der- oder diejenige gar nicht anders kann, als sich darauf einzulassen. Sie sind für Typen, die ein Schuljahr lang keinen Mut haben, aber im letzten Moment den ganz großen Stunt versuchen. Vielleicht auch, um sich danach selbstmitleidig im Gefühl des gescheiterten, wagemutigen Helden zu suhlen. Nun ja.

Andererseits ist das patriarchale Aufwachsen eben auch eine soziale Realität. So abgedroschen man es finden mag: Nicht wenige Männer haben es ja tatsächlich nie oder erst spät gelernt, Gefühle zu kommunizieren und sich damit verletzlich zu zeigen. Allerdings sollte man sich dieser Realität irgendwann stellen, anstatt ständig auf die eigene Sozialisation zu verweisen (wo ist mein Therapeut eigentlich gerade?). Manchmal hilft auch das Scheitern selbst, um zu dieser Einsicht zu gelangen.

Mein letztes romantisches Geschenk war ein Becher aus Hartplastik mit 3-D-Motiven, auf dem alle Mitglieder der Band Tokio Hotel abgebildet waren. Einen Becher schön zu verpacken ist gar nicht so einfach. Deshalb sah er auch ziemlich scheiße aus. Ich hatte gerade angefangen zu studieren und dabei eine Frau kennengelernt, die mir von ihrer Teenie-Tokio-Hotel-Phase erzählt hatte. Ich brachte also den Becher als Überraschung zu unserem dritten Treffen mit und sie ihrerseits die Entscheidung, mich nicht mehr wiedersehen zu wollen.

Wir saßen irgendwo am Kölner Rheinufer, es war sehr windig und dann auch sehr still um uns. Ich sagte: „Also na ja, vielleicht willst du es jetzt gar nicht mehr, aber ich hab dir noch etwas mitgebracht.“ Sie riss die zerknitterte Verpackung auf und betrachtete den Becher, ohne eine Miene zu verziehen. Ich sagte: „Also ich kann verstehen, wenn –“, da fuhr sie mich an: „Ja meinst du, ich schmeiß den jetzt weg, oder was?“ Wir schauten dann eine Zeit lang auf den braunen Rhein. Sie wendete den Becher ein paar Mal, sodass die unterschiedlichen 3-D-Motive zur Geltung kamen. Ein Windstoß wehte das Verpackungspapier über die leere Promenade, irgendwann begann es leise zu nieseln.

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