Sven Hansen zum Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai
: Das zweifache Trauma

Die Weltöffentlichkeit ist nach dem Treffen von IOC-Chef Thomas Bach und der früheren Atletensprecherin Kirsty Coventry mit Chinas Startennisspielerin Peng Shuai und nach deren Interview mit einer französischen Sportzeitschrift nicht schlauer. Wer zuvor Pekings Version glaubte, Peng habe nie einem chinesischen Spitzenkader einen sexuellen Übergriff vorgeworfen und sich nur zurückgezogen, weil sie ihre Ruhe haben wollte, konnte sich auch jetzt wieder bestätigt fühlen. Denn schließlich sagte Peng wieder genau das, während Bach und Coventry wegen vereinbarter Vertraulichkeit schwiegen.

Wer aber schon zuvor glaubte, Peng sei zu ihren Aussagen gezwungen worden, fand auch jetzt wieder genug Indizien dafür. So bestand das Interview aus zuvor eingereichten Fragen, deren Antworten ein als Aufpasser fungierender chinesischer Sportkader übersetzte. Freie Rede und glaubwürdige Interviews funktionieren anders. Was Peng Shuai tatsächlich passiert ist, wissen wir nicht und werden es wohl nie erfahren.

Jede ihrer Äußerungen kann sie einen existenziellen Preis kosten. Was würde ihr geschehen, hätte sie jetzt die Vorwürfe wiederholt und sich über Zensur und ihr Verschwindenlassen ­beklagt? Hat sie die Macht des mutmaßlichen Täters unterschätzt, wurde sie unter Druck gesetzt und nahm daraufhin ihre Vorwürfe zurück? Umgekehrt würde sie Chinas Propaganda eine Angriffsfläche bieten, sollte sie eines Tages im Ausland eine andere als die jetzige Version präsentieren. In ihre Heimat könnte sie dann kaum noch zurück.

Peng ist jetzt ein zweifaches Opfer: der mutmaßlichen sexuellen Gewalt und Chinas Propaganda sowie der internationalen Politik und der Medien: Letztere achten inzwischen stärker auf Vorwürfe sexueller Gewalt. Manche, um Chinas Regime damit am Zeug zu flicken, andere, um diese zu bekämpfen und Opfern zu helfen. Das IOC macht jetzt keine gute Figur. Denn es äußert sich weder zu sexueller Gewalt noch zu freier Meinungsäußerung.

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