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Merz’ später Triumph

Für mehr Frauen in den CDU-Führungsgremien hat der Parteitag nicht gesorgt, auch wenn der neue Parteichef das behauptet. Sonst hat Merz bei diesem Termin vieles richtig gemacht

Von Sabine am Orde

Am Samstagnachmittag, als der CDU-Parteitag auf sein Ende zugeht, tritt der frisch gewählte Parteichef noch einmal ans Redepult im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, von hier wird das digitale Treffen gestreamt. Er soll jetzt ein Schlusswort halten. Begeistert spricht Friedrich Merz, 66, davon, dass die Wahlen des Parteivorstands, die die 1.001 Delegierten seit dem Vormittag durchgeführt haben, ein Zeichen des Aufbruchs seien. Viele Mitglieder in den Führungsgremien seien neu und im Durchschnitt jünger, sagte Merz. Und: „Wir haben einen deutlich höheren Anteil an Frauen in beiden Gremien.“ Damit sind das Präsidium, der engere Führungszirkel, und der deutlich größere Bundesvorstand gemeint. Auch im ZDF-Interview am Abend wird Merz sagen: „Wir sind sehr viel weiblicher geworden.“ Doch das stimmt nicht.

Rechnet man die gewählten Mitglieder in beiden Führungsgremien zusammen, sind am Samstag 17 Frauen gewählt worden. Und 17 Frauen waren auch bisher in den beiden Gremien vertreten. Von einer Erhöhung des Frauenanteils kann also keine Rede sein. Allerdings hat sich das Geschlechterverhältnis in den Gremien verschoben. Im Präsidium hat der Frauenanteil zugenommen, im Vorstand ist er gesunken. Das kann man als Erfolg für die Frauen deuten, weil das Präsidium das einflussreichere Gremium ist. Man kann aber auch sagen: Damit es mit den Frauen klappt, muss die Führung eingreifen. Kandidaturen für das Präsidium sind nämlich klarer abgesprochen.

Für den Bundesvorstand, für den es deutlich mehr Be­wer­be­r:in­nen als Plätze gibt, haben erstmals mehr Frauen als Männer kandidiert. Die Männer setzten sich trotzdem durch. Was die Deutung zulässt: Im Zweifelsfall entscheiden sich die Delegierten einer mehrheitlich männlichen Partei eben doch für den Mann.

Mit dem Geschlechterverhältnis in seiner Partei muss sich Merz wohl noch beschäftigen. Sonst hat er auf dem Parteitag, wie überhaupt bei seinem dritten Anlauf auf den Parteivorsitz, vieles richtig gemacht. Bei seiner Rede wirkt er gelöster, aber es steht ja auch nicht mehr so viel auf dem Spiel. Die Mitglieder haben sich bereits mit deutlicher Mehrheit für ihn ausgesprochen, Ge­gen­kan­di­da­t:in­nen gibt es nicht.

Merz spricht von Geschlossenheit, vom Team, sagt seltener als früher „ich“, häufiger „wir“. Er macht klar, dass er der Parteichef aller Christ­de­mo­kra­t:in­nen sein will, nicht nur seiner wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Anhänger:innen. Und dass die CDU, wenn sie denn Volkspartei bleiben will, ihre ganze Bandbreite einbinden muss. „Wenn wir uns streiten, wenn wir in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen, wenn wir ein unklares Bild abgeben, wenn wir bei den Themen nicht auf der Höhe der Zeit sind“, sagt Merz, dann werde die Rückkehr an die Bundesregierung möglicherweise sehr lange dauern. Drei Themen hebt er hervor: die Versöhnung der sozialen Marktwirtschaft mit dem Klimaschutz, die äußere und innere Sicherheit – und die soziale Gerechtigkeit. Merz spricht über mangelnde Chancen von Kindern aus benachteiligten und bildungsfernen Familien und darüber, dass ein Ziel der christlichen Soziallehre noch auf Umsetzung warte: die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Da dürfte sich zu Hause am Bildschirm der eine oder andere Christdemokrat die Augen reiben. Wo ist der Ex-Blackrocker geblieben? Der frühere Polarisierer, der ewige Anti-Merkel?

Möglicherweise ist das alles Strategie. Vielleicht aber hat Merz seine zwei gescheiterten Versuche, Parteichef zu werden, und die desaströse Lage der Union nach der verlorenen Bundestagswahl auch einfach kühl analysiert. Und verstanden, dass er nur mit einem integrativen Kurs erfolgreich sein kann. Die Delegierten danken es ihm mit fast 95-prozentiger Zustimmung. Das ist für einen, der noch vor kurzer Zeit die CDU polarisierte, ein sensationelles Ergebnis. Da muss selbst der harte Hund Merz mit den Tränen kämpfen.

Das Ergebnis beeindruckt sogar den CSU-Chef, der zwischendurch aus Nürnberg zugeschaltet wird. Ein „dickes Pfund“ sei das, das er selbst auch gern mal gehabt hätte, sagt Markus Söder. Er gibt sich konziliant, bereut den Streit im vergangenen Jahr und gelobt Besserung. Die beiden Schwesterparteien wieder zueinander zu führen, wird eine der großen Aufgaben für Merz sein. Streit allerdings könnte ziemlich bald mit Ralph Brinkhaus bevorstehen, dem Vorsitzenden der Unionsbundestagsfraktion – sollte Merz auch diesen Posten besetzen wollen, wofür vieles spricht. Auch Brinkhaus wird zugeschaltet und macht nicht den Eindruck, dass er sich so einfach abräumen lassen will.

Bald könnte Streit bevorstehen: um den Vorsitz der Bundestagsfraktion

Merz schlägt wie geplant Mario Czaja als Generalsekretär vor. Czaja, der früher in Berlin Sozialsenator war und der Linkspartei bei der Bundestagswahl das Direktmandat im Bezirk Marzahn-Hellersdorf abgenommen hat, bekommt fast 93 Prozent der Stimmen. Ein großer Vertrauensvorschuss.

Die fünf Stell­ver­trete­r:in­nen gehen ebenfalls mit guten bis akzeptablen Ergebnissen durch. Auch hier sollen die Zeichen auf Aufbruch stehen: Von ihnen war zuvor nur Silvia Breher im Amt, die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion aus Niedersachsen. Das Spektrum reicht vom ehemaligen Chef des Wirtschaftsflügels Carsten Linnemann bis zur schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien. Linnemann soll künftig die Kommission leiten, die ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten soll. Das könnte ihn besonders einflussreich machen. Andreas Jung, der Klimaexperte der Unionsfraktion, und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer machen die Vizeposten komplett.

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