Als Politiker:innen enttarnt

Zwei Mitglieder der Linken in Niedersachsen wurden sechs Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet. Der fand heraus: Sie nahmen an Mitgliederversammlungen teil, kandidierten für den Landtag und verschickten Pressemitteilungen. Schade um die Steuergelder, findet eine Betroffene

Verdächtig: Maren Kaminski (l.) und Thomas Goes sind in der Linkspartei aktiv Fotos: Carmen Jaspersen/dpa (l.) und Die Linke Niedersachsen

Von Andreas Speit

Maren Kaminski und Thomas Goes machen das, was Po­li­ti­ke­r*in­nen so machen: Sie nehmen an Mitgliederversammlungen teil, sie kandidieren für Landtagswahlen. Beide sind aktive Mitglieder der Linkspartei in Niedersachsen. Das allein genügte anscheinend der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde (VS), um sie sechs Jahre lang unter Beobachtung zu stellen.

Im Frühjahr 2021 hatten Kamins­ki und Goes Post von der Behörde aus Hannover erhalten. In dem Schreiben teilte der VS ihnen mit, dass über sie eine „Informationsbeschaffung mit nachrichtlichendienstlichen Mitteln“ erfolgt sei. Die Überwachung lief von 2007 bis 2013. Nach Paragraf 22, Absatz 1 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes müssen Betroffene von einer geheimdienstlichen Überwachung unterrichtet werden, wenn diese abgeschlossen ist.

Am 10. April 2021 ersuchten Kaminski und Goes über ihren Rechtsbeistand Sven Adam aus Göttingen Auskunft zu den Vorgängen bei der Behörde. Sie wollten wissen: Warum wurden sie beobachtet? Warum sammelte der Geheimdienst Daten über sie? Die Antwort erhielten sie kürzlich, fast neun Monate später. Sie bleibt allgemein. Der VS sucht stets nach einer möglichen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als einzigen „tatsächlichen Anhaltspunkt“ hierfür nennt der VS in seinem Antwortschreiben jedoch Kaminskis und Goes’parteipolitisches Engagement. „Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Kaminski der taz. Und Goes sagt kurz und knapp: „Skandalös.“

„Hierfür bedarf es keines Geheimdiensts, das Geld wird woanders dringend gebraucht“

Maren Kaminski, Die Linke

Wann, wie und warum sie beobachtet wurden, wollte die Behörde unter Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut weder Kamins­ki noch Goes gleich erklären. Das ­Schreiben deutet aber darauf hin, dass der VS offenbar auch V-Leute im direkten Umfeld von Mitgliedern der Linken einsetzte, um sie auszuforschen. Die Behörde bezieht sich in ihrer Antwort nämlich auf „Paragraf 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6a“ des Verfassungsschutzgesetzes und schreibt, dass eine „Inanspruchnahme von Personen, deren planmäßig angelegte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen)“.

Ein weiterer Hinweis auf den Einsatz von V-Leuten findet sich an anderer Stelle in dem Schreiben. Dort heißt es: „Neben biographischen Daten wurden (…) weitere personenbezogene Daten“ erfasst, „über die keine Auskunft erteilt werden kann, da einer Mitteilung Gründe nach § 30 Abs. 2 S. 1“ des Verfassungsschutzgesetzes entgegenstünden. In dem Paragrafen ist unter anderem festgeschrieben, dass weitere Auskünfte unterbleiben dürften, wenn „die Interessen eines Dritten“ gefährdet seien und/oder die „Auskunftserteilung Informationsquellen als auch Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde“ offenlegen könnten.

Die Auskünfte sind „sehr schmallipig“ sagt Goes. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut an der Georg-August-Universität in Göttingen und seit kurzem Kreisvorsitzender der Linken. Bei Kamins­ki, die früher Landesgeschäftsführerin der Linken in Niedersachsen war und heute Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hannover ist, findet sich eine Auflistung. Zwanzig Einträge hat der Verfassungsschutz über sie vermerkt: Ihre Kandidatur zur Landtagswahl 2012 beispielsweise, ihre Beteiligung am Programmkonvent oder ihre Teilnahme an einer Kreismitgliederversammlung. Nichts davon überrascht bei einer engagierten Politikerin. „Alles öffentlich zugänglich“, sagt Kaminski und findet: „Hierfür bedarf es keines Geheimdiensts, das Geld wird woanders dringend gebraucht.“

Martina Renner, Obfrau der Linken im Innenausschuss des Bundestages, sagt der taz: „Ein Geheimdienst, der mit Spitzeleinsatz erst Linkspartei/PDS und später Die Linke traktiert, offenbart den politisch instrumentellen Charakter dieser Behörde, ihre fehlende Bindung an geltendes Recht und die Unmöglichkeit einer effektiven Kontrolle.“

Der Landesvorsitzende der Linken, Lars Leopold, beklagt, dass der VS „weiterhin verweigert, Auskunft darüber zu geben, welche verdeckt gesammelten Informationen erhoben wurden“ und fordert von der Landesregierung „volle Transparenz“, wer die Mitglieder seiner Partei bespitzelt habe und wie viele betroffen seien. Wer eine Kandidatur für den Landtag oder das Verschicken einer Pressemitteilung seiner Partei für verfassungsfeindlich hält, so Leopold, „sollte einmal sehr genau über sein Verständnis von Demokratie nachdenken. Um mehr zu erfahren, klagt Kaminski gegen den VS.