die gedichtkritik: Was reimt sich auf Scholz?
Soll der Bundestag eine „Parlamentarische Poetin“ bekommen? Gute Vorbilder gibt es
„Verteidigung der Leidenschaft“ ist der Titel eines Buches des im vergangenen Jahr verstorbenen polnischen Dichters Adam Zagajewski. Eines der dort versammelten Essays heißt „Anmerkungen zum hohen Stil“. Die zeitgenössische Lyrik, die er als Poet naturgemäß am besten verfolgen könne, sei „geprägt von einem Missverhältnis zwischen erhabenem und niederem Stil“, es herrsche eine „überwältigende Dominanz des niederen, lauen, ironischen Konversationsstils“. Weit entfernt davon, ein hilfloser oder aggressiver Konservativer zu sein, möchte Zagajewski das nicht so hinnehmen, ihm fehlt etwas: „Ich wehre mich gegen eine solche Beschneidung, eine solche Reduzierung der Wirklichkeit, solches Ansiedeln des Lebens – und der Kunst – auf einem schmalen Streifen, wo weder für Helden noch für Heilige Platz ist.“ Von der Poesie erwarteten wir „nicht Sarkasmus, nicht Ironie, nicht kritische Distanz“, sondern „Vision, Feuer und Flamme“. Anders gesagt: „Von der Poesie erwarten wir Poesie“.
Damit schalten wir in den deutschen Bundestag, zu Olaf Scholz und Christian Lindner. Wir legen den Schalter um zu einem Aufruf dreier deutscher Intellektueller – Simone Buchholz, Dmitrij Kapitelman und Mithu Sanyal – die in der Süddeutschen Zeitung für die Etablierung des Amtes einer „Parlamentarischen Poetin“ in Deutschland plädieren. Vorbild dafür ist in ihrem Text Kanada, viele werden an den Auftritt der US-Dichterin Amanda Gorman bei der Vereidigung von US-Präsident Joe Biden denken. Deren Gedicht kam, jedenfalls im unmittelbaren Vortrag, schon dem „Erhabenen“ recht nahe, so wie Zagajewski es beschreibt: „ein Wahrnehmen des Weltgeheimnisses, ein metaphysischer Schauder, ein großes Staunen, eine Erleuchtung, ein Gefühl der Nähe zu etwas nicht in Worte zu Fassendem (und all dies muss natürlich künstlerische Formen annehmen).“
Um auf der Ebene des Journalismus zu bleiben: An dieser Forderung könnte die Sache in Deutschland scheitern. Interessanter an der Debatte wird sein, wie sich in ihr das Verhältnis einer gesellschaftlichen Linken, die sich unter dem Druck einer erstarkten irrationalen Bewegung von Pegida bis Impfgegnertum in die Mitte bewegt hat, zu den Institutionen widerspiegelt. Denn wenn die Poesie schon die bürgerliche Demokratie verteidigt und feiert, dann darf sie auch vor dem hohen Stil keine Angst haben. waam
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