Sophia Boddenberg über die Präsidentschaftswahl in Chile
: Hoffnung schlägt Angst

Ich will ein Präsident sein, der am Ende seiner Regierungsperiode weniger Macht hat als am Anfang“, sagte Gabriel Boric mehrfach während des Wahlkampfs. Mit dieser Aussage hebt er sich deutlich vom aktuell regierenden Sebastián Piñera ab, der sich seit gut zwei Jahren mit weniger als 15 Prozent Zustimmung an die Macht klammert. Im März 2022 wird Piñera die Präsidentenschärpe an einen ehemaligen Stu­­den­t*in­nen­füh­rer übergeben müssen, der 2011 gegen ihn auf der Straße protestierte.

Mit 35 Jahren ist Boric der jüngste Präsident der Geschichte Chiles. Er konnte diejenigen mobilisieren, die seit Jahrzehnten nicht wählen gehen. Nicht nur die Hoffnung auf Veränderung bewegte sie, sondern auch die Angst vor einem rechtsextremen Präsidenten, der die Pinochet-Diktatur verteidigt. „Wir haben den Faschismus besiegt“, riefen die Menschen bei den Feiern auf den Straßen.

Außer einem Sieg der Fußballnationalmannschaft gibt es fast nichts, was die Chi­le­n*in­nen so sehr in Feierlaune versetzt wie das Ende der Diktatur Pinochets. Die Tage vor der Stichwahl waren wie das Staffelfinale einer Netflix-Serie: Am Donnerstag starb Pinochets Witwe und im ganzen Land feierten die Menschen auf den Straßen. Ihr Tod steht symbolisch für das Ende einer Ära, auch wenn der Schmerz, den die Diktatur verursacht hat, bis heute anhält.

Diesen Wandel bestätigte der Wahltriumph von Gabriel Boric, der gleichzeitig für den Sieg über den pinochetismo steht, über Autoritarismus, Rassismus, Frauenhass und Fake News, die der rechtsextreme Kandidat José Antonio Kast verkörpert. Seine Angstkampagne hat nicht funktioniert. Die Hoffnung hat über die Angst gesiegt.

Die neue Ära wird vor allem von der neuen Verfassung verkörpert: Diese wird zum ersten Mal in der Geschichte Chiles von einer demokratisch gewählten Versammlung ausgearbeitet. Wenn sie 2022 von der Bevölkerung angenommen wird, wird endlich das Erbe der Pinochet-Diktatur begraben. Und Gabriel Boric wird alles dafür tun, um diesen Prozess zu unterstützen.

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