Kindermusik-Projekt „Unter meinem Bett“: Und jetzt alle

Einige Stars der aktuellen Kindermusik kommen aus Hamburg. Dazu gehört das Projekt „Unter meinem Bett“, bei dem es neben der Musik um Puppen geht.

Musiker stehen auf einer Bühne, vor der Bühne stehen Kinder

Für Kinder und Erwachsene gemacht: „Unter meinem Bett“-Konzert in der Hamburger Fabrik Foto: Markus Langer

Es ist Egal-wie-viel-Uhr, aber es muss jetzt schnell gehen. Kinder, Koffer, Kuscheltiere sind im Auto verstaut, es geht zu Oma und Opa, in die Berge, ans Meer. Die Kids über Stunden bei Laune halten, das ist immer wieder eine Herausforderung. Bücher vorlesen klappt vom Beifahrersitz aus nicht so gut, und irgendwann wird auch die Stimme heiser. Früher schmiss man die übliche Musik an und stellte die eigenen Ohren schnell auf Durchzug.

Heute ist das nicht mehr nötig. Denn Kindermusik ist plötzlich cool. Mehr als das: Sie hat in den letzten fünf Jahren eine Revolution in der Musikindustrie ausgelöst. Die Band Deine Freunde füllt 1.000er-Hallen, chartete im November 2020 auf Platz fünf und lässt dabei Schwergewichte wie AnnenMayKantereit, Andre Rieu, Elton John – vor allem aber einen gewissen Rolf Zuckowski – weit hinter sich. Es ist ein Zeichen einer sich schon länger anbahnenden Wachablösung. Denn die Band Deine Freunde macht Kindermusik, die auch Erwachsenen gefällt, und sie sind nicht die Einzigen.

Hinter dem „Gorilla Club“ stecken Teile der Kölner Indie-Folk-Popper Locas In Love, an „Rotz ’n’ Roll-Radio“ beteiligten sich unter anderem Oliver Kalkofe, Anna Thalbach und Bürger Lars Dietrich, das rappende Nashorn Dikka hat sich wiederum ein Berliner Rapper einfallen lassen. Nein, nicht Sido, aber der ist genauso wie Mark Forster als Feature-Gast auf dem Album der Dickhäuter-Figur zu hören, auf dem die Songs Titel wie „Pommes mit Majo“ oder „Superpapa“ tragen.

Doch der Erfolg dieser neuen Musik liegt keineswegs nur an der erwachsenen Musiker:innen-Prominenz, die hinter den Pseudonymen steht oder in anderer Form an den unterschiedlichen Projekten beteiligt ist. „Puppen sind nicht nur für Kinder, dieser Reiz, sich das Infantile zu bewahren, besteht auch für Erwachsene.“ Jules Wenzel zieht den Vorhang zurück und gibt den Blick frei auf Kisten voller Stoffpuppen, die in einem Regal ihres Ateliers im Hamburger Oberhafenquartier lagern. Es sind die Figuren der Serie „Unter meinem Bett“, die als Pionier dieser neuen Kindermusik gilt und in mittlerweile sechs Ausgaben mit Gisbert zu Knyphausen, Olli Schulz, Jan Plewka, Dota oder Cäthe die Crème de la Crème der deutschen Singer/Songwriter-Szene versammelt.

Puppen als Cover-Motive

Wenzel, Illustratorin und Tätowiererin, ist von Beginn an dabei. Sie zeichnete nicht etwa nur Cover-Motive für die Alben, die zuerst ganz klassisch als CD, aber eben auch auf Vinylplatte erschienen sind: „Das ist dann dieser Spiel- und Sammeltrieb, den sich die Erwachsenen dann bewahren“, sagt Wenzel. Sie schuf mit genähten Illus­trationen, wie sie es nennt, eine eigene, detailverliebte Welt. „Wenn ich eine Illustration mache, ist die oft ein bisschen düster, ein bisschen morbide, hat ein bisschen was Melancholisches, das ist dann weniger was für Kinder.“ Die Stoffpuppen sind bunt, fröhlich, verspielt, aber man kriegt auch die Eltern damit. „Es ist das gleiche Prinzip, das die Musik auf den Alben auch verfolgt.“

So schuf sie den Cowboy Leroy, der so gar nichts mit dem Marlboro-Mann gemein hat, die Fledermaus Flattermann, die mit ihrer sternförmigen Sonnenbrille, Umhang und Keyboard an P-Funk-Ikone Bootsy Collins erinnert, den „Wolf mit dem Hut“ (benannt nach einem Beitrag Bela B.s) oder den „Supermänsch“, über den Popsängerin Mine und Edgar Wasser singen: „Ich bin kein Superheld, ich bin ein Supermänsch und meine Superkraft ist, dass ich sein kann, wie ich bin.“ Zeilen, die generationsübergreifend funktionieren.

So umfänglich wie keine anderer dieser Kinderlieder-Reihen führt „Unter meinem Bett“ die Welten der Erwachsenen und der Kinder zusammen, eine strikte Trennung in Klang, Form, Bild und Inhalt wie früher gibt es hier nicht. Das geht so weit, dass Maxim in „Issaa“ über einen Flüchtlingsjungen singen oder Die Orsons-Rapper Maeckes „Es macht ’nen Ruck nach rechts und die Welt wird krumm. Also halte dich fest, sonst fällst du um“ in seinem Anti-Nazi-Song dichten kann. Und bei allem bleiben Eigenarten und Alleinstellungsmerkmale der großen und kleinen Hö­re­r:in­nen erhalten.

Ausgedacht haben sich die Reihe der Hamburger Musiker und Autor Wolfgang Müller und Markus Langer, damals bei der Oetinger Verlagsgruppe verantwortlich für Kindermusik und Hörspiele, heute bei einem Unternehmen tätig, dessen Produkt ebenfalls einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg der Kindermusik hat und selbst einen Hype auslöste: Der Tonie-Firma mit den kleinen, meist mit Musik oder Hörspielen bespielten Kunststofffiguren, die sich über die gleichnamige, kubusförmige Box abspielen lassen.

Eltern bekannt als „Tonies“, wurden seit Einführung 2015 alleine 25 Millionen Exemplare abgesetzt. Ende November erfolgte der Börsengang, die Aktie legte zeitweise um 30 Prozent zu. Pettersson & Findus, das Sams, die Olchis, Preußlers „Die Kleine Hexe“, Janosch – es gibt kaum Kindheitserinnerungen der letzten Jahrzehnte, die nicht für die Tonie-Plattform lizenziert sind.

Sein Team und er hätten sich bei Oetinger irgendwann die Frage gestellt, wie man auf Kindermusik gucke, erzählt Langer. Der Vater von drei Töchtern kennt die eingangs beschriebene Situation gut und hat „einen zugegeben erfolglosen Singer-/Songwriter-Background“. Das ist sein Antrieb. Für ihn lag es auf der Hand, „die Leute, die ich selber höre, mal anzusprechen und zu fragen, ob sie Interesse hätten, eine Kinderlieder-Platte zu machen.“

Bei seinen Recherchen stößt Langer auf das Projekt „Es war einmal und wenn sie nicht“, für das 17 deutsche Mu­si­ke­r:in­nen von Olli Schulz über Tom Liwa bis hin zu Gisbert zu Knyphausen Originalversionen von Grimm’schen Märchen lesen, musikalisch begleitet von Fink-Gitarrist Dinesh Ketelsen. Der Initiator: Wolfgang Müller. Covergestaltung und Illustration: Jules Wenzel.

Als Wenzel mit ins Boot geholt wird, haben Müller und Langer die Idee für „Unter meinem Bett“ entwickelt, die Puppen kommen von ihr. Wenzel hat Illustration an der Muthesius Kunsthochschule Kiel studiert und dort „viele Wege aufgezeigt bekommen, was Illustration alles sein kann“. Auch mit Stoff habe sie dort zum ersten Mal gearbeitet, vorher noch nie Nadel und Faden in der Hand gehabt. „Ich kann genauso viel nähen, wie ich es brauche“, sagt Wenzel. „Wenn ich der Meinung bin, die Puppe muss einen Regenmantel anhaben, muss ich mir halt einen Regenmantel angucken und schauen, wie die Schnittmuster aussehen. Das ist für mich nicht selbsterklärend.“

Seebär mit Klampfe

Ihre mit Watte gefüllten Puppen haben ein Skelett, sind beweglich und vor allem auch aufwendig in Szene gesetzt durch den Fotografen Henning Heide. Jede Figur ist einem Stück der vorherigen Ausgabe entnommen und von Wenzel nach ihren Vorstellungen gestaltet. Außer die erste natürlich. „Da haben wir uns gefragt, was macht so einen klassischen Hamburger Songwriter aus? Und haben dann so einen Seebär mit Klampfe und Friesennerz gemacht. Wir wollten eine Hamburgische Identifikationsfigur schaffen“, sagt Wenzel.

Markus Langer spricht von der Skepsis, die ihnen am Anfang von allen Seiten entgegengebracht wurde, der Kindermusik wegen, der komischen Indie-Musiker. Das Projekt werde kein Erfolg werden, hätten sie allerorten gehört. „Es hätte auch nach hinten losgehen, wir hätten scheitern können. Aber wir wollten es machen, wenigstens um es versucht zu haben“, sagt Langer.

Und sie machten es allen Widrigkeiten zum Trotz. Die Compilation erschien schließlich bei Oetinger, dem (Kinder-)Buchverlag – selbst ein Indie-Vertrieb ließ sich nicht finden. „Am Anfang waren wir noch unsicher, ob und wie man das live umsetzen kann“, sagt Langer. Das Release-Konzert zur ersten Platte fand in der Fabrik in Hamburg statt: Gisbert zu Knyp­hausen ist dabei gewesen, Bernd Begemann, Jan Plewka – sie alle haben ihren Kindersong gespielt und dann einen aus ihrem normalen Repertoire. Und es funktionierte auf Anhieb.

Mit der Tochter auf der Bühne

„‚Unter meinem Bett‘ sind Leute, die normalerweise Erwachsenenmusik machen und sich dann auf die Möglichkeit stürzen, einmal kurz ihren ganzen Erwachsenenscheiß loszulassen und noch mal diesen Ort aufzusuchen, der sie verbindet mit dem Kind, das sie selbst waren und den Kindern, die sie vielleicht haben“, so begründet Bernd Begemann den Erfolg. Und das ist der entscheidende Unterschied zu der Kindermusik, die man selbst von früher kannte, in denen die Erwachsenen sich so gaben, wie sie glaubten, dass die Hö­re­r:in­nen im Kindesalter sind. Heute ist das anders.

Begemann selbst moderiert nicht nur von Anfang an fast jedes Konzert der Reihe, bei dem eine feste Band Songs der anwesenden Gast­sän­ge­r:in­nen und andere Beiträge live spielt, sondern ist auch mit zwei Stücken vertreten – zusammen mit seiner Tochter Belinda. „Für mich war es eine tolle Gelegenheit, meiner Tochter beim Älterwerden zuzuschauen, dadurch dass wir zusammen Abenteuer erlebten. Mit der eigenen Tochter auf Tour zu sein, das ist ein Abenteuer, mit der eigenen Tochter zu performen, das ist die größte Freude.“

Darum geht es letztendlich: Abenteuer erleben, Momente, die einen zusammenschweißen. Mit der Kindermusik von heute ist das möglich. Auf Platte und live.

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