„Machtpolitik ja, aber ohne ein Arschloch zu werden“

Kevin Kühnert wird am Samstag zum SPD-Generalsekretär gewählt. Ein Gespräch über das Verhältnis seiner Generation zur Macht, die „Bild“-Zeitung und warum die SPD mehr wollen muss, als im Ampelkoalitionsvertrag steht

Foto: Annegret Hilse/reuters

Interview Stefan Reinecke
und Jasmin Kalarickal

taz am wochenende: Herr ­Generalsekretär Kühnert, wie klingt das?

Kevin Kühnert: Zu förmlich für die SPD. Es gibt das sozialdemokratische, egalitäre Du. Das soll hierarchische Hürden ein Stück weit überwinden helfen.

Aber Sie müssen als SPD-Generalsekretär vorbehaltlos die Regierungspolitik verteidigen.

Nein, das ist nicht die Jobbeschreibung. Ich bewerbe mich als Generalsekretär der SPD, nicht als Regierungssprecher. Und ich will loyal mit allen Vertretern der SPD zusammenarbeiten. Vorauseilenden Gehorsam aber, den erwarten vermutlich noch nicht mal jene, die regieren.

Sie wollen mehr Beinfreiheit.

Aha, jetzt gehen wir also alle Triggerworte durch. Es gibt eine klare Aufgabenbeschreibung in unserem Parteistatut. Der Generalsekretär führt die politischen Geschäfte der Partei im Einvernehmen mit den Parteivorsitzenden und unter Wahrung der Beschlüsse der Partei. Die Partei ist der Dreh- und Angelpunkt. Kabinette regieren auf Zeit. Die Partei bleibt. Die SPD ist unser common ground.

Das war nicht immer so, Nach 1998 galt sehr oft: Erst die Minister, dann die Fraktion, dann nichts, dann die Partei. Einverstanden?

Ja, da finde ich manche Wahrheiten wieder. Es gab lange eine zu enge personelle Verschränkung zwischen Regierung und Partei, etwa beginnend in den rot-grünen Regierungsjahren. Wir haben das in den letzten zwei Jahren geändert, die Ämter strikter getrennt und damit die Grundlage für das Comeback gelegt, mit dem wir viele überrascht haben. In der SPD haben das alle verinnerlicht. Deshalb hat Olaf Scholz sofort nach der Wahl gesagt: Ich will nicht Parteichef werden, sondern unterstütze die amtierenden Vorsitzenden.

Die Partei muss unabhängig von der Regierung agieren – das ist die Lernkurve der SPD?

Sie muss eigenständig sein. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Opposition zu den eigenen Regierungsmitgliedern.

Muss der Generalsekretär einer Regierungspartei die Partei nicht disziplinieren?

Wenn ich nur durch Disziplinierung führen könnte, hätte ich mich nicht beworben. Ich werde sehr wohl den Regierungsmitgliedern und der Fraktion den Rücken freihalten, damit sie den geschlossenen Koalitionsvertrag verwirklichen können. Aber ein guter Generalsekretär gewährleistet das durch Kooperation, nicht durch Konfrontation.

Sie übernehmen das Amt von Ihrem Freund Lars Klingbeil, der dann Ihr Chef wird. Auch nicht einfach, oder?

Fragen Sie mich in drei Monaten noch mal. Aber ich denke nicht, dass diese Konstellation sich nachteilig auswirkt, eher im Gegenteil. Wir sind eine neue Generation von Führungskräften. Breitbeinigkeit und Machtdemonstrationen sind nicht unser Ding. Wir werden niemand demütigen, nur um zu zeigen, was für tolle Hechte wir vermeintlich sind.

Früher war Machtkampf – jetzt nicht mehr? Im Ernst?

Die politische Kultur verändert sich ja schon seit einiger Zeit. Es wird in Gremien weniger gebrüllt. In den progressiven Parteien ist die Führung auch nicht mehr zu 90 Prozent männlich, mit Frauen als belächelter Salatgarnitur. Diese Entwicklung war überfällig.

Also sind Sie die Generation softer, zugewandter, woker.

Woke ist ein Kampfbegriff. Damit kann ich nichts anfangen. Politik ist fraglos ein Machtgeschäft. Das ist auch nichts Schlimmes. Aber man muss Machtpolitik betreiben können, ohne ein Arschloch zu werden. Das hat Lars Klingbeil am Anfang seiner Amtszeit gesagt. Und das stimmt immer noch.

Künftig wird sich sehr viel um die Regierung drehen. Die SPD repräsentieren zwei ChefInnen. Für kontroverse Haltungen fragt man die Jusos. Und Generalsekretär Kühnert ist medial gar nicht mehr so interessant. Wären Sie unglücklich, wenn es so kommt?

Damit könnte ich auch leben. Aber wenn ich mir die Medienanfragen rund um den Parteitag anschaue, dann hält sich meine Sorge, in Vergessenheit zu geraten, in Grenzen.

Werden Sie als Generalsekretär für Attacke auf die Konkurrenz zuständig sein?

Anders, als das früher üblich war. Die Zeit, als man mit der Kavallerie ausritt und billige Sprüche klopfte, ist vorbei. Dafür wird man heute eher ausgelacht. So redet doch keiner mehr. Na ja, außer Markus Blume von der CSU.

Werden Sie als SPD-Generalsekretär mit Bild reden?

Nein.

Warum?

Kevin Kühnert

32, war bis Anfang 2021 Juso-Chef und ist seit 2019 Vizechef der SPD. Er ist seit Kurzem Bundestags­abgeordneter in Berlin. Eine längere Fassung des Interviews finden Sie auf taz.de.

Das ist eine prinzipielle Entscheidung. Es wäre verlogen das als Juso-Vorsitzender zu tun, weil man dafür Applaus bekommt, und es dann später zu lassen. Es geht bei dieser Entscheidung auch nicht um politische Meinungsverschiedenheiten. Ich rede gerne mit der NZZ und der Welt. Aber Bild verfolgt eine eigene Agenda. Das hat nicht nur mit einem Chefredakteur zu tun. Es gibt strukturelle Gründe.

Olaf Scholz hat in Bild-TV die Impfpflicht verkündet, bei „Ein Herz für Kinder“ war er auch. Muss er das machen?

Nein, natürlich nicht. Aber er wägt das auch nicht nur als Parteipolitiker ab, sondern als Mitglied der Bundesregierung. Olaf Scholz hat in dieser Woche eine Kommunikationsoffensive für das Impfen gestartet, er war bei Joko und Klaas, hat der Zeit ein Interview gegeben und war eben auch bei Bild-TV.

Weil er Ihre moralischen Vorbehalte nicht teilt.

Ich leite aus meiner Entscheidung keine Allgemeingültigkeit ab. Ich finde nicht, dass Politikerinnen und Politiker, die mit Bild sprechen, schlechte Menschen sind. Aber ich werde erst mit Bild reden, wenn sich Grundlegendes in der Redaktion ändert. Das hat mit eigenen schmerzhaften Erfahrungen zu tun.

Viele Spitzen-Sozialdemokraten sagen: Wir haben im Koalitionsvertrag fast alles erreicht, also kein Genörgel! Sehen Sie das auch so?

Denken Sie sich an dieser Stelle eine längliche Passage, in der ich alles aufzähle, was wir durchgesetzt haben. Es ist wirklich viel. Aber es gibt darüber hinaus einiges, was wir Sozis noch wollen. Ein Rentensystem für alle Formen von Erwerbs­tätigkeit. Die Bürgerversicherung im Gesundheitsbereich. Eine adäquate Besteuerung von riesigen Vermögenswerten. Das ist ja keine Folklore für Wahlkämpfe. In Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP bekommt man nun mal nicht einen Mindestlohn von 12 Euro, eine Wohnraumoffensive und eine Vermögensteuer. Wir können rechtfertigen, warum wir unsere Schwerpunkte so gesetzt haben. Aber wir werden nicht so tun, als wäre damit schon alles geschafft.

Damit werden Sie Olaf Scholz ganz schön auf die Nerven gehen.

Da schätzen Sie Olaf Scholz falsch ein. Es würde mich wundern, wenn Inhalte unseres ­Parteiprogramms Mitgliedern meiner Partei auf die Nerven gehen.