Kohleausstieg bei der Klimakonferenz: Kohle ist nicht mehr King

Noch ist unklar, wie die Klimakonferenz in Glasgow endet. Sicher ist: Endlich stellt sich die Welt gegen die Kohle. Am Ort, wo alles begann.

Lastkähne hoch beladen mit Kohlebergen in einem Hafen

Kohlekähne in Samarinda, Indonesien Foto: Willy Kurniawan/reuters

GLASGOW taz | Schräg fällt das Nachmittagslicht durch die Bleiglasfenster und lässt das Eichenparkett auf dem Boden warm leuchten. Zwischen den Glasvitrinen im Gilbert Scott Building an der Universität Glasgow bewegen sich vorsichtig ein paar Besucher und bewundern Fossilien, ausgestopfte Raubkatzen, gigantische Tausendfüßler oder das Skelett eines Fischsauriers.

Eine Treppe mit knarzenden Dielen führt auf die Galerie unter dem hohen Tonnengewölbe mit den gotischen Fenstern. Hier stehen Exponate aus den Anfängen der modernen Naturwissenschaft: Ein Instrument zur Messung von Flusspegeln oder die erste elektrische Pendeluhr. Und das erste Modell einer Dampfmaschine.

Pegelmesser und Pendeluhr haben das Leben vereinfacht. Aber besagte „Model Newcomen Steam Engine“ aus schwarzem Holz und zerbeultem Metall, gerade so groß wie ein hüfthohes Bücherregal, hat die Welt verändert wie kaum etwas anderes. Der Erfinder James Watt reparierte sie um 1760 hier an der Universität Glasgow und fing an, sie zu verbessern: mit seinen effizienten Maschinen wurde die Ausbeute der Kohlegruben deutlich größer.

Die Dampfmaschine trat in den folgenden Jahrzehnten als Pumpe, Schiffsantrieb und Kohlekraftwerk ihren Siegeszug durch die Welt an. Kohle hat mit ihr die Industrialisierung befeuert, erst in England, dann auf der ganzen Welt. Sie hat die Menschheit zur Herrscherin der Welt gemacht, unglaublichen Wohlstand geschaffen, aber ihre Abgase ruinieren inzwischen den Planeten. In diesen ehrwürdigen Hallen hat alles begonnen.

Eine Viertelstunde Fußweg den Hügel herunter soll es nun enden. Ganz ohne Magie. Auf der Bühne des nüchternen Kongresszentrums von Glasgow sitzt Alok Sharma, ehemals britischer Wirtschaftsminister und jetzt Präsident der Klimakonferenz COP26.

„Das Ende der Kohle ist in Sicht“

Er arbeitet Tag und Nacht für eine „historische Konferenz“, die auch dafür stehen soll, „die Kohle endgültig in die Geschichtsbücher zu verbannen“. Er sagt Dinge wie: „Das Ende der Kohle ist in Sicht, Kohle ist nicht mehr der König.“

Und er hat es geschafft, dass zumindest am letzten Tag der Konferenz im Entwurf der politischen Erklärung der Satz steht, die Konferenz „ruft dazu auf, den Ausstieg aus der Kohleverbrennung, bei der CO2 nicht abgetrennt und gespeichert wird, zu beschleunigen.“

Diesen Satz könnte man von einer Klimakonferenz erwarten. Aber auf den 25 Gipfeltreffen ist er bisher niemals offiziell festgehalten worden. Der Brennstoff, der allein ein Drittel aller CO2-Emissionen aus der globalen Energienutzung ausmacht, war lange zu wichtig, zu billig und zu bequem, als dass wirklich jemand auf ihn verzichten wollte. Die UN-Staaten beschlossen lieber, Milliarden für Windräder, neue Deiche oder Versicherungen gegen Stürme auszugeben als dem größten Klimakiller an den Kragen zu gehen.

In Glasgow hat sich das geändert. Es ist nicht nur die umstrittene politische Abschlusserklärung. Über die zwei Wochen haben sich viele Staaten immer wieder versprochen, die Kohleöfen möglichst schnell auszumachen: Die „Allianz jenseits der Kohle“ hat 28 neue Mitglieder vorgestellt, darunter Chile und Singapur. 23 Staaten haben eine Erklärung unterzeichnet, in den 2030ern (für reiche Länder) oder 2040ern (für alle anderen) auszusteigen, darunter die Kohle-Großmächte Polen, Indonesien, Korea und Vietnam.

Regierungen haben geschworen, keine öffentlichen Gelder mehr für Kraftwerke, Pipelines und Häfen für Kohle, Öl und Gas auszugeben und die frei werdenden knapp 18 Milliarden Dollar in Erneuerbare zu stecken. Etwa ein Dutzend Staaten hat sogar erklärt, keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu erschließen.

In Businessanzug und Krawatte

Der Niedergang der Kohle lasse sich auch gut an Zahlen ablesen, sagt Lorenzo Sani. „Über 90 Prozent aller neuen Kohlekraftwerke weltweit werden niemals profitabel arbeiten, wenn wir uns an die 1,5-Grenze halten wollen“, sagt er am Telefon. Sani ist Experte bei „Carbon Tracker“, einem Thinktank und Beratungsunternehmen spezialisiert auf die Kohlenstoffmärkte.

Er und seine Kollegen laufen in Businessanzug und Krawatte über die COP und in die Vorstandetagen von Investorenhäusern und Banken. Sie warnen die Leute mit dem Geld vor „gestrandeten Investments“, in denen sie ihr Kapital verlieren.

Und sie haben Horrorzahlen für die Kohle parat: Weil es inzwischen fast überall billiger ist, Strom aus neuen Wind- und Solaranlagen zu beziehen als alte Kohlemeiler laufen zu lassen, weil die Luftverschmutzung Menschen tötet und Volkswirtschaften belastet und weil es immer mehr Gegenden mit CO2-Steuern gibt, wird kaum ein Kraftwerk über seine Lebensdauer von 40 Jahren sein Geld einspielen, „selbst unter der Annahme, dass wir keine ehrgeizige Klimapolitik nach dem Paris-Abkommen machen.“

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Die „Carbon Tracker“-Daten zeigen noch mehr: Weltweit sind zwar offiziell noch etwa 600 neue Kraftwerke geplant, 80 Prozent davon in Asien, vor allem in China. Aber diese Liste schrumpft wie der Eispanzer von Grönland. Wenn trotzdem neue Kraftwerke entstehen, so der Analyst, geschehe das gegen die Logik des Marktes: Weil besonders in den Schwellenländern wie China oder Indien der Energiehunger weiter rasant zunimmt und Kohlekraft vertraut ist, wird diese Variante gewählt.

Erneuerbare mögen billiger sein – ihre dezentrale Planung und Netzanbindung ist aufwändiger. „Kohle funktioniert vor allem noch in regulierten Märkten ohne freien Wettbewerb“, sagt Sani. Das kann dann später sehr teuer werden: Bis zu 100 Milliarden Dollar an Wertverlust könnten die Kohlegesellschaften einfahren.

Mann in Marmor

Die Signale der Regierungen auf der COP sind deutlich: Wer keine teure Anlage zum Abscheiden und Speichern des Klimagases CO2 hinter seine Anlage hängen will, sucht sich besser eine andere Art der Stromerzeugung. Die Investoren weltweit verstehen diese Sprache: Seit dem Pariser Abkommen 2015 ist die Zahl der geplanten Kraftwerke um drei Viertel geschrumpft, rechnet der Klimawandel-Thinktank E3G vor.

Der Mann, der den Gigawatt ihren Namen gab, sitzt an der Universität Glasgow als nachdenkliche Statue in weißem Marmor, gestiftet von seinem Sohn. James Watt gilt hier als großer Wohltäter. Seit Neuestem klärt zwar eine Tafel neben seiner Statue darüber auf, dass Watt in Tabak- und Sklavenhandel verstrickt war. Aber über die Zusammenhänge von Watt, Gigawatt und Klimakrise klärt hier niemand auf. Neben seiner Dampfmaschine lobt eine Plakette des Ingenieursinstituts, seine Erfindung habe „die Welt verbessert“.

An der Universität gibt es ein großes „Watt Building“, in Glasgow gibt es eine Watt Street. Die Stadt ist stolz auf ihren berühmten Sohn. Auch wenn sie im „Hunterian Museum“ an der Universität durchaus den Klimawandel fürchten: als Bedrohung für Entwicklungsprojekte, wie eine Stelltafel zeigt. Und als das Ende des schottischen Volkssports Curling, der inzwischen nicht mehr auf zugefrorenen Seen gespielt werden kann. „Eine Welt ohne Curling?“, lautet die bange Frage einer Vitrine.

James Watt und seine Erfindung sind auch auf dem Klimagipfel nicht überall in Verruf. Liam McHugh ist Politik-Direktor bei der „World Coal Association“ (WCA), der globalen Lobby der Kohleindustrie. Er hat ein paar Tage auf der Konferenz verbracht, aber für ein persönliches Treffen hat er keine Zeit. Fragen beantwortet er nur schriftlich.

Nein, feindlich sei die Stimmung auf der COP ihm gegenüber nicht gewesen, auch nicht negativ: „Im Gegenteil haben wir großes Interesse und Komplimente erfahren.“ Für ihn gehört die Kohle zur Energieversorgung vieler Länder, man solle lieber auf saubere Technologien setzen als auf die Verdammung einer Technologie, die Wohlstand schaffe. „Auch die Internationale Energieagentur sagt, dass Kohle die größte Energiequelle bleiben wird.“

Physikalische und ökonomische Realitäten anerkennen

Auch für die Staaten, die ihren Strom noch zu großen Teilen aus der Kohle beziehen, sind die Entscheidungen auf der Konferenz nicht einfach. China lässt sich nicht in die Karten blicken, hat aber erklärt, keine Kohlekraft mehr im Ausland zu finanzieren – was eine Menge Projekte in Vietnam oder Indonesien gefährden könnte. Australien, größter Exporteur, wirbt für seine Kohle als „positive Energie“.

Polen wiederum hat sogar die politische Erklärung zum Kohleausstieg mitgezeichnet, dehnt ihn aber nach seiner Definition bis 2049 aus – weil bis dahin nach einem Deal mit den Gewerkschaften der Bergarbeiter noch teure polnische Kohle gefördert werden soll.

Aber die großen Zeiten der Kohle sind auch dort vorbei. Noch bei der Klimakonferenz in Warschau 2013 hielt die polnische Regierung, immerhin Gastgeberin der COP, einen offiziellen Kohle-Gegengipfel im Wirtschaftsministerium ab. Vor der Tür der Klimakonferenz marschierten Bergarbeiter auf, um für die Kohle zu demonstrieren. In Glasgow ist nur die Klimabewegung auf der Straße.

Kurz vor dem offiziellen Ende der Konferenz vom Glasgow sah es am Freitagmittag wieder so aus, als würden James Watts Freunde triumphieren: Der Passus zum Ausstieg aus der Kohle, erklärten hochrangige VerhandlerInnen, werde es wohl nicht ins Abschlussdokument schaffen. Aber die Debatte sei nun eröffnet, hieß es. Hinter den Angriff auf die Kohleindustrie könne man nicht mehr zurück.

Irgendwann bald wird aber auch die UN-Klimakonferenz die physikalischen und ökonomischen Realitäten anerkennen, sind sich viele Analysten sicher. Und tatsächlich ist der Kampf gegen die Kohle, der in Glasgow offen begonnen hat, nur der Anfang. Der Thinktank „Climate Analytics“ legte schon in den ersten Tagen der Konferenz ein Gutachten vor, dass bald auch kein Gas mehr verbrannt werden dürfe, wenn man die Klimaziele von 1,5 Grad ernst nehme. Titel der Studie: „Gas ist die neue Kohle“.

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