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Unmögliche Berührung

Körper, Erotik und Aufbegehren sind allgegenwärtig im Werk von Rebecca Horn. In Wien stellt das Bank Austria Kunstforum ihre reichen Verflechtungen von Ausdrucksformen vor

Von Jacqueline Rugo

Aus den Kupfertrichtern flüstern Stimmen, klagen ihr Leid in vielen Sprachen. Der Jammer wird lauter, schwillt an, vermischt mit Geräuschen, wird zum Beben, wird leiser und versickert schließlich in einer Mure aus Bauschutt, Holzpaletten, Mauerresten und schwarzem Tuch. Verteilt auf die Ausstellungsräume des ehemaligen Bankgebäudes zeigt das Bank Austria Kunstforum Wien einen „ganzen Strom“ von jeweils verknüpften und miteinander in Dialog stehenden Werken einer der außergewöhnlichsten und vielseitigsten Künstlerinnen ihrer Generation: Rebecca Horn.

Es werden für diesen besonderen Ort und Anlass – nämlich die erste umfassende Werkschau der Künstlerin seit knapp 30 Jahren in Österreich – bekannte und neu gestaltete Installationen gezeigt, wie die bereits 1997 bei der Kunstbiennale von Venedig ausgestellte „skulpturale Komposition“ „Konzert der Seufzer – Concerto dei sospiri“. Stimmen sind zu vernehmen in den unterschiedlichsten Idiomen der Welt – Italienisch, Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch, die die Künstlerin gesammelt und zu einem Klangteppich der Klagen gemischt hat.

Die chorale Installation bildet den Auftakt zu einer mit Filmen, Fotoübermalungen, Zeichnungen, Gouachen, mechanischen Skulpturen, Installationen und Gedichten reich bestückten Schau, die im Zusammenführen von Bildern, Klängen, Texten und Motorik den Fokus auf die Verflechtungen der zahlreichen Ausdrucksformen legt, derer sich Rebecca Horn seit fünf Jahrzehnten bedient.

Mit frühen Werken wie „Überströmer“ (1970), eine aus Glas, Metall und Plastikschläuchen konstruierte Korsage, die die innere Bewegung des Blutkreislaufs nach außen verlegt, spannt die Ausstellung einen zeitlichen Bogen bis zu der 2018 entstandenen Installation „Jungfräuliche Empfängnis“. Es handelt sich um eine Konstruktion, bestehend aus einem schwarzen Blasebalg und einer perlmuttweißen Meeresmuschel, die sich dank eines kleinen Motors und aufgespießt auf Stahlstangen langsam um sich selbst drehen, ohne dass es zu einer Verbindung der beiden Körper kommt. Die unmögliche Berührung ist durchdrungen von feiner Ironie.

Bereits bei „Blue Monday Strip“ von 1993 paart Rebecca Horn versteckten Spott und Melancholie zu einer paradoxen Konstellation, die als Spiel einer höheren Macht erscheint: An die Wand montiert werden neun mechanische Schreibmaschinen, deren Tasten ein Motor mittels langer Metallstangen in Bewegung setzt, zu den Prot­ago­nis­t*in­nen eines skurrilen Konzerts. Zusätzlich spritzt blaue Tinte durch einen kleinen Trichter auf den Boden. Die Gleichförmigkeit und der monotone Ton der Maschinen, als Symbol der weiblichen Beschäftigungswelt, lassen an Eintönigkeit, Unterdrückung und Aufbegehren dagegen denken.

Sie kratzen, streicheln, schlagen, bohren, stechen, hämmern und ritzen

Liebe und Erotik sind in Rebecca Horns Œuvre allgegenwärtig, sie zeigen sich in vielen Schattierungen, mehr oder minder maskiert als Angst, Schrecken, Hoffnung, Sehnsucht oder Erfüllung. Der „Dialog der Silberschaukeln“ (1979) evoziert mit seinem sanften Hin- und Herschwingen einen Pas de deux ohne Anfang und Ende und wird zu einer Allegorie der Unmöglichkeit des Gleichklangs. „Thermomètre d’amour“ (1985) zeigt über chemische Prozesse und eine Text-Skala, deren Maßeinteilung von S’ABIMER (Sich selbst lieben) bis SOLITUDE (Einsamkeit) reicht, unterschiedliche Körper- und Seelenzustände an.

Dualismen wie Subjekt/Objekt oder weiblich/männlich werden hier überschritten, ähnlich wie im „Raum der gegenseitigen Zerstörung“ von 1992: Hier stehen sich zwei große Spiegel gegenüber, wobei vor jedem Spiegel eine Pistole montiert ist, die ihr Ziel im anderen Spiegel avisiert. Die Be­su­che­r*in­nen müssen dieses Zentrum des spannungsgeladenen Raums bei ihrem Weg durch die Ausstellung durchschreiten. Für einen kurzen Moment werden sie dabei selbst zum avisierten Objekt und damit zu Protagonisten einer überaus komplexen Zone narzisstisches Sehens, in der die Gefahren zwischenmenschlicher Beziehungen im Wechselbad von sinnlicher Anziehung und tödlicher Entfremdung anklingen.

Anhand von Gedichten, Zeichnungen, Fotocollagen und Filmstills dokumentiert die von Bettina M. Busse kuratierte Ausstellung, wie sich aus einer Idee eine Geschichte entwickelt, anschließend ein Text, der wiederum zur Skizze wird, dann zu einem Film und in der Folge die Skulpturen und Installationen entstehen. Unübersehbar sind auch die frühen Einflüsse, die Rebecca Horn bereits während ihres Studiums an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (1963–69) erhielt und ihr ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Später kam der Einfluss von Joseph Beuys und der Einfluss von Künst­le­r*in­nen aus dem Umkreis von Fluxus und Arte Povera hinzu und die Eindrücke, die Rebecca Horn Anfang der 1970er Jahre zunächst in London und nach ihrer ersten Documenta-Beteiligung 1972 während ihrer zahlreichen Aufenthalte in New York erhielt. Wesentlich für die Entwicklung ihres facettenreichen Œuvres waren die Surrealisten, die unter anderem mittels Collage und Montage Grenzüberschreitungen zur künstlerischen Methode erhoben.

Mit prothesenhaften Verlängerungen der Extremitäten, die an Handschuhen befestigt wurden, und Gesichtsmasken aus Federn und Bleistiften schuf Rebecca Horn bereits in der 70er Jahren sensible Körpererweiterungen, um so das Verhältnis von Körper, Skulptur und Raum zu erkunden. Später werden aus den Mensch-Objekt-Symbiosen kinetische Objekte, denen eine starke Verbindung zum Humanen innewohnt. Die von kleinen Motoren betriebenen Gebilde verhalten sich atypisch für Maschinen: Sie kratzen, streicheln, schlagen, bohren, hauen, stechen, hämmern und ritzen.

Augenfällig ist stets die emotionale Erfahrung, die die mitunter nervösen oder unvermittelt innehaltenden Gebilde vermitteln, nicht deren technische Perfektion. Mit Werken wie „Floating Souls“ (1994) oder „Cutting Through the Past“ (1993) betont die sorgfältig erfolgte Auswahl der Exponate zudem eine Melancholie, von der viele Arbeiten erfüllt sind, und deren tiefgründigen Ernst, der im ersten Moment durch irritierende und verblüffende Verwandlung verborgen wird.

Nach Wien kam Rebecca Horn, die nach einem Schlaganfall 2015 zurückgezogen in ihrer Heimatregion Odenwald lebt, während ihrer mittlerweile seit fünf Jahrzehnten andauernden Tätigkeit immer wieder: nicht nur wegen der Beteiligung an wichtigen Ausstellungen und Einzelpräsentationen, wie 1994 in der Kunsthalle Wien, sondern auch, um ihre Werke in ungewöhnlichen Räumen zu präsentieren. 1986 zeigte sie beispielsweise auf Einladung der Wiener Festwochen gemeinsam mit Jannis Kounellis im Theater am Steinhof, einer psychiatrischen Klinik, mehrere Werke, bei denen die Pa­ti­en­t*in­nen einbezogen waren.

Mit „Concert for Anarchy“ (1990) präsentiert die aktuelle Schau eine Arbeit, die angesichts der jüngsten Entwicklungen von frappanter Aktualität ist: ein rätselhafter schwarzer Konzertflügel, der kopfüber von der Decke hängt und sich nach längeren Phasen schweigenden Verharrens plötzlich öffnet, um unvermittelt und geräuschvoll die Tasten aus ihrer Verankerung stürzen zu lassen, die kurz darauf mit einem harfenartigen Laut wieder zurückgezogen werden. Es ist ein Ausbruch, der als Akt der Verzweiflung und der Befreiung ebenso überrascht und schockiert.

Rebecca Horn, bis 23. Januar 2022, Bank Austria Kunstforum Wien

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