Berliner Hochschulpolitik: Rücktritt statt Fortschritt
HU-Präsidentin Sabine Kunst verkündete am Dienstag ihren Rücktritt. GEW und HU-Studierende finden den Schritt unverständlich, aber begrüßenswert.
Das ist im bundesweiten Vergleich – hier sind es bis zu 90 Prozent – zwar noch wenige. Dennoch muss es hellhörig machen, dass die Präsidentin der renommierten Humboldt-Universität zu Berlin (HU), Sabine Kunst, am Dienstag ihren Rücktritt verkündet.
Sie begründet ihren Schritt damit, dass das neue Berliner Hochschulgesetz „gut gemeint, aber schlecht gemacht“ sei. Hintergrund ist, dass der scheidende rot-rot-grüne Senat mit diesem Gesetz mehr befristet beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in Festanstellungen bringen wollte. Konkret sollten die Universitäten Postdoktorand*innen auf Qualifikationsstellen grundsätzlich entfristen müssen, wenn sie sich bewähren. Kunst kritisiert, dass die Finanzierung ungeklärt sei. Außerdem habe das Gesetz die Hochschulen vollkommen überrumpelt.
Dementsprechend bewegen sich die Reaktionen in dieser Stadt auf diese Entscheidung von Sabine Kunst nicht nur im Spektrum Betroffenheit bis Bestürzung. Sowohl die Berliner Linken als auch die GEW reagieren auf Kunsts Rücktritt mit Unverständnis. „Ich finde den Rücktritt von Frau Kunst nicht nachvollziehbar“, sagt etwa Tobias Schulze, Sprecher für Wissenschaft und Forschung bei den Linken.
Die Hoschschulen stehen schlecht da
„Wir haben vier Jahre über dieses Gesetz diskutiert, und auch Frau Kunst war bei vielen unserer Gespräche anwesend.“ Nicht ohne Grund würden immer mehr Wissenschaftler*innen aus Deutschland ins Ausland oder in die Wirtschaft gehen. Tatsächlich steht das deutsche Hochschulsystem im internationalen Vergleich ziemlich schlecht da.
Laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 fehlt es beispielsweise fast völlig an hauptamtlich und selbstständig Lehrenden und Forschenden unterhalb der Professur, der sogenannten Junior-Staff-Ebene, die häufig sehr viel stemmt in den Bildungsinstitutionen.
Bei Postdoktorand*innen, so Schulze, handele es sich zumeist um Menschen um die vierzig, die sich nicht trauen, eine Familie zu gründen, weil sie nicht wissen, ob sie nächstes Jahr die ersehnte Jobzusage bekommen oder doch wieder nur Hartz IV beantragen dürfen.
Nicht zuletzt habe ja auch die Social-Media-Kampagne #IchBinHanna gezeigt, wie Wissenschaftler*innen hierzulande arbeiten – nämlich viel prekärer, als das international üblich sei. Es sei endlich an der Zeit, dass die Universitäten eine Personalpolitik entwickeln, anstatt immer nur als Durchlauferhitzer zu dienen.
Befristung verhindert Forschung
Ähnlich überrascht über Kunsts Rücktritt zeigt sich Laura Haßler aus dem Vorstandsbereich Hochschulen und Lehrer*innenbildung in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW). Für besonders bedenklich hält sie Kunsts Äußerung, das Hochschulgesetz sei nicht vereinbar mit der Exzellenzstrategie der Humboldt-Universität. „Befristung verhindert gute Forschung, das ist nachgewiesen“, so Haßler.
„In den letzten Jahren haben die Universitäten immer nur reagiert und Löcher gestopft. Es gab keinen großen Wurf mit klaren Konsequenzen für die Mitarbeitenden.“ Auch habe es keine konstruktiven Gegenvorschläge zur Personalentwicklung durch die Berliner Universitäten gegeben. Zudem handele es sich jetzt zunächst nur um einen Bruchteil des wissenschaftlichen Personals, der entfristet werden soll. Gravierende Kosten dafür entstünden zunächst einmal gar keine – und eventuelle Mehrausgaben, die dafür später benötigt werden, seien noch mit der Stadt Berlin verhandelbar.
„Aufgrund des Hochschulgesetzes hat Berlin die Chance, ein Hochschulstandort mit Signalwirkung zu werden – und einen Weg aufzuweisen, wie man den allgemeinen Brain Drain in Deutschland aufhalten kann“, sagt sie. „Offenbar möchte Sabine Kunst bei dieser Entwicklung nicht dabei sein.“
Sehr drastisch bewertet auch die Studierendenvertretung der Humboldt-Universität, der RefRat, den Rücktritt von Sabine Kunst. Schon auf deren Website erinnert der RefRat an die Proteste der Studierenden bei Kunsts Wiederwahl vor einem Jahr – und an die von ihr veranlasste Räumung einer Studentischen Vollversammlung durch die Polizei.
„Dieser Rücktritt war längst überfällig“, so Benjamin Kley, Referent für Lehre und Studium beim RefRat. „Sabine Kunst wird immer als eine der erfahrensten Hochschulmanagerinnen bezeichnet. Allerdings hat sie ihre Erfahrungen in einem System gesammelt, das auf Ausbeutung basiert. Diese sind bei der Transformation der Hochschule zu einem gerechteren Ort vollkommen nutzlos.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja