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Heidegger und (k)ein Ende?

Der Publizist Lorenz Jäger hat eine gut erzählte Biografie Martin Heideggers vorgelegt. Den Antisemitismus des Philosophen verschweigt Jäger nicht

Von Micha Brumlik

Spätestens seit der Publikation von Martin Heideggers „Schwarzen Heften“ im Jahre 2014 ist klar, dass er dem Nationalsozialismus keineswegs nur aus opportunistischen Gründen gehuldigt hat, sondern dass der berühmte Philosoph zudem ein in der Wolle gefärbter Judenhasser, ein Antisemit war. Seither auch reißt die Reihe von Publikationen zu Leben und Werk dieses Philosophen nicht mehr ab: Soeben ist aus der Feder des Frankfurter Publizisten Lorenz Jäger eine weitere, knapp 600 Seiten zählende, bestens lesbare Lebensgeschichte dieses Philosophen erschienen. Dem Autor ist das biografische Genre nicht fremd, hat er doch bereits Biografien Walter Benjamins sowie Theodor W. Adornos vorgelegt.

Mit dem jetzt vorliegenden Band widmet er sich einem Denker, dessen Philosophie von jener Adornos nicht weiter entfernt sein könnte, hat doch Adorno in seinem 1964 publizierten „Jargon der Eigentlichkeit“ Heidegger unnachgiebig kritisiert. Das hat Jäger schon in seiner Biografie Adornos bemängelt, weshalb er jetzt den Versuch unternimmt, Heideg­ger gerecht zu werden.

Dazu scheint Jäger geradezu lebensgeschichtlich prädisponiert, war er doch lange Zeit einer der Vordenker der „Neuen Rechten“ in Deutschland, einer neuen Rechten, von der er sich freilich öffentlich und spektakulär vor zehn Jahren losgesagt hat.

Die jetzt von ihm vorgelegte, reichhaltig bebilderte Lebenserzählung bringt uns das von Heidegger hochstilisierte, aber eben doch wirkliche Aufwachsen im ländlichen Rahmen ebenso nahe wie seine sprunghafte, erfolgreiche akademische Karriere, die einen ersten Höhepunkt mit dem Erscheinen des Jahrhundertwerks „Sein und Zeit“ im Jahre 1927 fand.

Heideggers darin entfaltete Kritik eines lebensweltlichen Großstadtgefühls weist in manchem Parallelen zu Walter Benjamins einschlägigen Texten auf. Nachvollziehbar wird aber auch, warum in den letzten Jahren der Weimarer Republik nicht zuletzt junge Frauen für den sich im bäuerlichen Dress präsentierenden Philosophen der Existenz schwärmten.

Mehr noch: Heidegger, der vergleichsweise früh heiratete und sogar den von einem anderen Mann gezeugten Sohn seiner nationalsozialistisch gesinnten Frau Elfride anerkannte, war nicht nur ein Frauenschwarm, sondern auch ein notorischer Fremdgänger: Die vorliegende Lebensgeschichte zählt sie, die Geliebten alle, alle auf. Vor allem aber entfaltet er auch Heideggers Liebesaffäre mit der jungen, jüdischen Philosophin Hannah Arendt – eine Beziehung, die zwar durch die NS-Zeit unterbrochen, danach aber als Freundschaft wieder aufgenommen wurde.

Lorenz Jäger: „Heidegger. Ein deutsches Leben“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 608 Seiten, 28 Euro

Bei alledem übergeht Jäger keineswegs Heideggers paradoxe Form des Judenhasses, notierte der Philosoph doch 1941: „Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut des eigenen Volkes zu opfern.“

An dieser Stelle korrigiert Jäger den Großdenker, indem er darauf hinweist, dass Heideg­gers jüdische Eleven, Hannah Arendt und Hans Jonas, schon früh für eine jüdische Armee eintraten.

Mehr noch: Vor dem Hintergrund vieler jüdischer Schüler und Geliebter fragt sich sein Biograf, wie der Antisemitismus des Philosophen möglich war, um als Antwort auf Heideggers Liebe zum Deutschen Idealismus und dessen Vorliebe für das Griechentum – im Gegensatz zu Judentum und Christentum – zu stoßen. Jäger resümiert: „Ein deutsch-griechischer Parnass, Zutritt für Unbefugte verboten.“

Bei alledem unterlässt er es nicht, nachzuweisen, dass Heideggers Nationalsozialismus und Judenhass nicht rassistisch grundiert waren, lasse sich doch – so Heidegger das „Eigene […] nie durch Schädelmessungen und durch die Beschreibung ausgegrabener Spieße und Spangen feststellen“.

All das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass Heideg­ger, wie Jäger treffend schreibt, vor allem in seinen Vorlesungen einer „Metapolitik des Meta­faschismus“ das Wort geredet hat.

Einen missglückten Versuch, ihn zu Umkehr zu bewegen, unternahm Paul Celan

Entsprechend übergeht Jäger keineswegs die Tatsache, dass Heidegger zumal in Frankreich und später auch in Japan zu einem im weitesten Sinne schulbildenden und einflussreichen Philosophen wurde. Für Jäger, das wird aus dem Epilog zu dieser Biografie deutlich, war Heideg­gers Leben vor allem, emphatisch betont, die Geschichte eines Weges – wie überhaupt im weitesten Sinne waldbezogene, botanische Metaphern sprachlicher und dinglicher Art diesen Lebensweg gesäumt haben: von der „Hütte“ über die „Lichtung“ bis zurück zu einem frühen Gedicht, in dem es heißt: „Lachender Frühherbst / Das Gartentor auf“.

Einen missglückten Versuch, den Denker zu Umkehr und Eingeständnis zu bewegen, unternahm der Dichter Paul ­Celan, der als Rumäne knapp der Shoah entkam und der Heideg­ger 1967 auf seiner Hütte besuchte – in der Hoffnung, dass Heidegger, der sich durchaus für Celans Dichtung interessierte, ein Wort zur Vergangenheit sagen würde. Indes, und das notierte Celan in seinem Gedicht „Todtnauberg“: „Krudes, später, im Fahren / deutlich / der uns fährt, der Mensch, / der’s mit anhört, die halb- / beschrittenen Knüppel- / pfade im Hochmoor, / Feuchtes, viel“.

„Feuchtes, viel“: Jägers Nacherzählung dieses Lebens liest sich – trotz bester philologischer Verweise und einer keineswegs unkritischen Haltung – flüssig: man könnte beinahe sagen, wie ein gut erzählter Unterhaltungsroman; ob das jedoch dem Skandal dieses Philosophen und seines politischen Irrlaufs gerecht wird, muss das lesende Publikum selbst entscheiden.

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