Mütende Feministinnen

Wo steht der Kampf um Gleichberechtigung nach anderthalb Jahren Pandemie? Drei Bücher beschäftigen sich in diesem Herbst mit Frauen zwischen Wut, Erschöpfung und Zärtlichkeit

Mut zur Wut oder doch lieber bewusst sanft? Foto: nataliadintrans/plainpicture

Von Katrin Gottschalk

Den Fernseher zertrümmern, das Geschirr zerdeppern, den Tisch zerhacken – einfach einmal alles kurz und klein schlagen. Das scheint eine Fantasie vieler Frauen zu sein. Zumindest sind 70 Prozent der Kun­d*in­nen eines Crash Rooms in Berlin Frauen. Sie zahlen dort 220 Euro für eine Stunde Wutausbruch ohne Publikum. Das berichtet der Besitzer des Raumes in Ciani-Sophia Hoeders Buch „Wut und Böse“. Hoeder überrascht das gar nicht, denn die These ihres Buches lautet, dass es für Wut von Frauen keinen Platz in unserer Gesellschaft gibt.

Natürlich sind auch Frauen wütend. Sie haben nur gelernt, dass es nicht gut ankommt, wenn sie das auch zeigen. Es entspricht nicht dem Bild des sich kümmernden Geschlechts, der hingebungsvollen Geliebten, der stummen Zuhörerin. Und wer sich diesem Bild nicht anpasst, wird bis heute sanktioniert. Wer etwa auf eine Anmache auf der Straße nicht mit dankendem Lächeln reagiert, läuft Gefahr, beschimpft zu werden. Das ständige Nachdenken über die Folgen des eigenen Handelns macht Frauen müde, das Verdrängen von Empörung macht sie krank.

In diesem Herbst sind drei feministische Schriften erschienen, wobei alle drei Autorinnen ausführen, dass sie die Kategorie Frau nicht an geschlechtlichen Merkmalen festmachen, sie diese Kategorie in einem binär aufgebauten System aber als Bezugspunkt beibehalten wollen. Der Kategorie Frau attestieren sie jedenfalls alle: Sie ist mütend. Das Wort entstand in der Coronapandemie und beschreibt eine Mischung aus wütend und müde.

Dass diese Themen die aktuelle feministische Literatur bestimmen, lässt sich schon an den Titeln erkennen. „Wut und Böse“ heißt Ciani-Sophia Hoeders Buch, „Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach das andere. Ann-Kristin Tlustys Kritikschrift „Süß“ ist im Titel eher vage, steigt dann aber gleich zu Beginn mit der Feststellung ein: „Ich bin Feministin. Ich bin wütend darüber, dass Frauen im Alter wie selbstverständlich stärker unter Armut leiden als Männer.“ Die Fe­mi­nis­t*in­nen im deutschsprachigen Raum sind also mütend – aber gibt es dazu auch etwas Neues zu sagen?

Ciani-Sophia Hoeder: „Wut und Böse“. Hanser Verlag, München 2021, 208 S., 18 Euro

Audre Lorde, die alle drei Autorinnen zitieren, beschäftigte sich in den Achtzigern bereits mit Wut als Antwort auf Rassismus. Als Frau, zumal als Schwarze, der eigenen Wut öffentlich Raum zu verschaffen, kostet allerdings Kraft. Kraft, die erschöpfen kann, weshalb Lorde Selbstfürsorge als Akt politischer Kriegsführung bezeichnet. Hinzu kamen in den letzten Jahren bezeichnende Begrifflichkeiten. Activism burnout oder auch rage fatigue versuchen die spezifischen Entkräftungen zu beschreiben, die nicht nur Frauen berühren, bei ihnen jedoch oft auf ein besonders niedriges Selbstwertgefühl treffen.

Die verschiedenen Dimensionen von weiblicher Erschöpfung beschreibt von den drei Publikationen Franziska Schutzbach besonders profund. Die promovierte Soziologin nimmt quellenreich die Geschichte des aufgeklärten Subjekts in den Blick, das in Abgrenzung zu Frauen und den „Wilden“ entstand. Sie zeigt ganz nach Theweleit, wie Männlichkeit im Faschismus über Ablehnung alles Schwachen konstruiert ist – und Frauen gelten als schwaches Geschlecht. Der Blick von Männern auf Frauen, diesen hätten Frauen internalisiert und er führe dazu, dass sie sich selbst und einander abwerten.

Der Versuch von Frauen, sich aktiv von den zugeschriebenen Attributen zu distanzieren, führe laut Schutzbach letztlich zu einer permanenten Erschöpfung. Schutzbach versteht ihr Buch als Aufruf zur Imperfektion. Das angstfreie Zulassen und Ausleben von Unterschiedlichkeit funktioniere aber nur, wenn „Menschen ihre Sehnsucht nach Bezogenheit und ihre Bedürftigkeit nach Umsorgung ernst nehmen, wenn sie zueinander in Beziehung stehen, können sie sich einander verletzlich zeigen – und auch erschöpft.“

Am Ende des Buches wünscht sich Schutzbach eine Care Revolution. Die Studienlage dazu ist dicht: Frauen übernehmen mehr Hausarbeit, mehr Pflege, sie übernehmen im Beruf die Aufgabe, Teams zusammenzuhalten und in ihrer Freizeit die Geschenke für alle Familienmitglieder zu kaufen.

Diese drei Autorinnen möchten im Grunde genommen endlich ihre verfickte Ruhe haben

Dieses Bild der sich kümmernden Frau fasst die Journalistin Ann-Kristin Tlusty mit dem Bild der sanften Frau zusammen. In ihrem Buch „Süß“ beschreibt sie neben der sanften auch die süße Frau, die allzeit sexuell verfügbar ist, aber eben auch aktiv. Sie weiß, was sie will und wer old-fashioned Blümchensex mag, also „vanilla“, gilt mitunter als frigide. Und dann gebe es laut Tlusty noch die zarte Frau, die dünn und zerbrechlich ist. Sanft, süß und zart, diese Kategorien kommen als Anspruch von außen und bestimmen auch das weibliche Selbstbild.

Tlusty plädiert in „Süß“ aber nicht dafür, sich von diesem Selbstbild abzugrenzen, aus „sanft“ ein „stark“ zu machen: „Ich weigere mich, an die weibliche Eigenverantwortung zu appellieren und zum fröhlichen Empowerment aufzurufen.“ Ihre starke Kritik gilt deshalb dem „Potenzfeminismus“. Sie meint damit eine Art Karrierefeminismus, den bereits Angela McRobbie in „The Aftermath of Feminism“ kritisiert hat. Anstatt zu fordern, dass gleichberechtigt viele Frauen in Führungspositionen sind, möchte Tlusty eher Strukturen schaffen, die eine „sanfte Gesellschaft“ ermöglichen.

Eine sanfte Gesellschaft baue „auf einer sozialen Infrastruktur auf, die eine unkomplizierte, nicht profitgesteuerte Betreuung von Kindern, Kranken und Pflegebedürftigen ermöglicht, anstatt alles Soziale vor allem ins Private zu verlagern.“ Entsprechend solle der Care-Sektor komplett vergesellschaftet werden. Sanftheit für alle ist eine schöne Utopie. Wie dieses Konzept in einer Gesellschaft funktionieren soll, die auf Stärke basiert, bleibt allerdings offen.

Ann-Kristin Tlusty: „Süß“. Hanser Verlag, München 2021, 208 S., 18 Euro

Als wichtiges Triebmittel für Veränderungen macht Ciani-Sophia Hoeder die Wut aus. Auf diese fokussiert sich die Journalistin in ihrem Buch „Wut und Böse“. Die Gründerin des „Rosa Mag“, einem Online-Magazin für Schwarze Frauen, möchte vor allem einen Mut zur Wut kultivieren. Der Drang nach Veränderung ist bei Hoeder offensichtlich der Antrieb. Sie weiß, dass sich Strukturen nicht von alleine ändern, sondern handfeste Kämpfe dazugehören. Sie spricht mit Ex­per­t*in­nen wie etwa einer 51-jährigen Pflegerin, die sehr stolz auf den Titel „Bitch der Station“ ist. Die Lektüre von Hoeders Recherchen ist ein Gewinn, nur verwundert bei dem gewählten Thema etwas, wie freundlich die Autorin schreibt.

Überhaupt schreiben alle drei Frauen sehr freundlich. Tlusty steigt in ihr Buch zwar mit der Feststellung ein, dass sie wütend sei – um dann mit dem Wunsch nach Dolce Vita für alle zu enden. Dabei brodelt es doch unten drunter. Diese drei Autorinnen möchten im Grunde genommen endlich ihre verfickte Ruhe haben und nicht mehr um Gleichberechtigung auf allen Ebenen kämpfen müssen. Nur dass sie nicht verfickt schreiben. Warum eigentlich nicht?

Franziska Schutzbach: „Die Er­schöpfung der Frauen“. Droemer, München 2021, 304 S., 18 Euro

In Virginie Despentes’„King Kong Theorie“ von 2006 spuckt der Leserin die Wut zwischen jeder Zeile ins Gesicht. Despentes hält sich nicht damit auf, Belege für die Ungleichbehandlung von Frauen zu recherchieren. Sie listet nicht Gender Pay und Pension Gap auf, selbst der Gender Orgasm Gap wäre der ehemaligen Sexarbeiterin egal. Sie rotzt aufs Patriarchat und scheißt auf tone policing. Das ist das Wort dafür, wenn Leuten gesagt wird, sie hätten sich im Ton vergriffen.

Diese drei deutschen Publikationen sind wohlformuliert und dies sicherlich sehr bewusst. Wütende Frauen müssen sich immer fragen, welche Konsequenzen ihr Handeln hat. Die Beispiele von Morddrohungen gegen unflätige Fe­mi­nis­t*in­nen sind bekannt. Die sanftere Sprache in diesen Büchern ist so gesehen auch ein Schutzmechanismus.

Letztlich wollen alle drei Autorinnen auf ihre Weise weiblich konnotierte Eigenschaften aufwerten und Frauen vom Nachahmen männlichen Dominanzgehabes befreien. Funktionieren kann das nur, wenn Frauen auch Wut als aktiven Teil ihrer Emotionalität verstehen.